Blackout
Urlaub angesammelt habe, die ich jetzt verbrauchen soll.
Zuerst war ich nicht allzu begeistert von der Idee, aber inzwischen habe ich eingesehen, daß sie großartig ist. Ich habe einen Platz in der Sonne gefunden. Ein kleines, gemütliches Wasserloch namens Ahuacatlan, etwas nördlich von Guadalajara. Eine vorausgehende Erkundigung per Telefon hat ergeben, daß besagte Burg bestens geeignet ist für jemanden mit meinen Vorstellungen eines erholsamen Urlaubs. Besonders, was das Jagen und Fischen betrifft. Ich nehme an, ich werde zwei oder drei Tage weg sein. Telefonischer Kontakt ist mühsam und unerwünscht; die Einheimischen schätzen ihr Privatleben hoch ein. Aber ich rufe an, sobald ich zurück bin.
Grüße an Stradivarius - oder sollte ich sagen, Stradivarette? -, und halte Dich allem Übel fern.
Beste Wünsche Milo
Ich gab den Zettel Robin zum Lesen. Sie reichte ihn mir danach wieder.
»Was heißt das? Daß man ihn rausgeschmissen hat bei der Untersuchung dieses Falls?«
»Ja. Wahrscheinlich wegen des Drucks von außen. Aber er fährt nach Mexiko und untersucht, was man dort über McCaffrey weiß. Vermutlich hat er dort angerufen und erfahren, daß es genügend gibt, was eine nähere Untersuchung rechtfertigt.«
»Er tut es aber hinter dem Rücken seines Captains.«
»Vermutlich ist er der Meinung, daß es das Risiko wert ist.« Milo war ein tapferer Mann, aber kein Märtyrer. Er wollte seine Pension ebenso genießen wie jeder andere. »Dann hast du also recht gehabt. Mit La Casa.« Sie schlüpfte unter die Decke und zog sie sich bis ans Kinn hoch. Dabei zitterte sie, aber nicht vor Kälte.
»Ja.« Und noch nie war mir das Rechthaben ein so schwacher Trost gewesen.
Die Musik aus dem Radio schlich um die Ecken und beschrieb unerwartete Pirouetten. Ein Trommler hatte sich Rawlins zugesellt, und er schlug einen tropischen Rhythmus auf seinen Tomtoms… Ich konnte nur an Kannibalen und Schlinggewächse voller Schlangen denken. Schrumpfköpfe… »Halt mich fest.«
Ich legte mich neben sie und küßte sie und hielt sie fest und versuchte, ruhig zu bleiben. Aber meine Gedanken waren woanders, verloren in der eisigen Tundra, oder sie trieben hinaus aufs Meer.
19
Die Wände in der Eingangshalle des Western Pediatric Medical Centers waren mit Marmortafeln geziert, auf denen in goldenen Lettern die Namen der schon vor längerer Zeit verblichenen Gönner dieser größten Kinderklinik in Südkalifornien prangten. Die Halle selbst war bevölkert mit Verletzten, Kranken und Verlorenen, die alle im eigenen Saft schmorten bei der Prozedur des endlosen Wartens, die mindestens ebenso zu Krankenhäusern gehört wie intravenöse Spritzen und schlechtes Essen.
Mütter drückten ihre Kleinkinder an die Brust, und aus den Bündeln ertönte leises Wimmern. Väter kauten sich die Nägel, fummelten mit Fragebögen der Versicherungen herum und versuchten dabei, nicht an den Verlust an Männlichkeit zu denken, der aus der Begegnung mit der Bürokratie resultierte. Die lieben Kleinen rannten herum, legten ihre Patschhändchen auf den Marmor, zogen sie rasch wieder zurück wegen der Kälte des Steins und hinterließen zur Erinnerung schmierige Abdrücke. Ein Lautsprecher sagte Namen durch, und die also Auserwählten trotteten zum Aufnahmeschalter. Eine blauhaarige Lady in der grünweißgestreiften Uniform einer freiwilligen Krankenhaushelferin saß hinter dem Pult des Schalters und war ebenso verwirrt wie diejenigen, denen sie helfen sollte.
In einer entlegenen Ecke der großen Halle saßen Kinder und Erwachsene auf Plastiksesseln und sahen fern. Der Fernseher war auf eine Programmserie eingestellt, die in einem Krankenhaus spielte. Die Ärzte und Schwestern auf dem Bildschirm trugen makelloses Weiß, hatten coiffiertes Haar, perfekte Gesichter und Zähne, die nach allen Seiten blitzten, wenn sie in leisen, tiefen, ernsten Tönen über Liebe, Haß, Schmerzen und Tod parlierten. Die Ärzte und Schwestern, die sich in der Halle einen Weg’ bahnten, waren menschlicher: zerknittert, gehetzt, mit schläfrigen Augen. Die hereinkamen, hatten es eilig, um dem Signal des Piepers oder einem wichtigen Anruf Folge zu leisten. Die hinausgingen, wirkten wie entlassene Gefangene, welche befürchten, die Wärter könnten sie in letzter Minute doch noch zurückrufen. Ich trug meinen weißen Kittel und das Identifikationsschild des Krankenhauses und hatte meine Aktenmappe unter dem Arm, als ich durch die automatische Tür ins Innere des
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