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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Zeitschriften bestückt. Der Hauptraum erinnerte an eine Marmorkathedrale, drapiert mit schwerem, rotem Samt und von übergroßen Fenstern erhellt, die im Abstand von jeweils drei Metern die Wände unterbrachen. Es gab Lesetische aus Eichenholz, Lampen mit grünen Schirmen und Stühle mit lederüberzogenen Sitzen. Das einzige, was fehlte, waren die Leute, welche sich für die erhabenen Wälzer in den Regalen an den Wänden interessierten. Der Bibliothekar, ein kraftloser jüngerer Mann mit kurzgeschnittenem Haar und einem bleistiftdünnen Schnurrbärtchen, trug ein Hemd aus rotem Tweed, dazu eine gelbe Strickkrawatte. Er saß hinter seinem Empfangstisch und las eine neue Ausgabe des Artforum. Als ich ihn fragte, wo sich die Abteilung der Doktorarbeiten befinde, schaute er hoch und betrachtete mich mit dem erstaunten Ausdruck eines Eremiten, der mit vorwurfsvollem Bedauern feststellt, daß jemand dabei ist, ihn in seiner Höhle zu stören.
    »Dort«, sagte er interesselos und deutete auf eine Stelle am südlichen Ende des großen Raums.
    Ich fand einen Karteikasten aus Eichenholz und auch die Karte für Gretchen Chaplains Diplomarbeit. Der Titel ihres magnum opus lautete: ›Die Insel Brindamoor. Geschichte und Geographie‹. Im betreffenden Regal sah es anders aus: Ich entdeckte die Arbeiten von Frederick Chalmers und O. Winston Chastain, aber die Stelle dazwischen, die eigentlich für Gretchen hätte reserviert sein sollen, war leer. Ich überprüfte die Nummer der Kongreßbibliothek, machte die Gegenprobe, doch das war ein fruchtloses Unterfangen. Die Studie über Brindamoor fehlte. Ich ging wieder zum schmalen Tweedhemd zurück und mußte mich zweimal vernehmlich räuspern, ehe sich der Knabe von einem Artikel über Billy Al Bengston losreißen konnte. »Ja?«
    »Ich suche eine bestimmte Diplomarbeit und kann sie nicht finden.«
    »Haben sie in der Kartei nachgesehen?«
    »Die Karte ist da, aber die Arbeit fehlt.«
    »Wie unangenehm. Wahrscheinlich ist sie verliehen.«
    »Könnten Sie das für mich überprüfen, bitte?« Er seufzte und brauchte ziemlich lange, um sich aus seinem Sessel zu erheben. »Wie lautet der Name des Autors?« Ich gab ihm die nötigen Informationen, und er ging mit beleidigter Miene hinter seine Ausleihtheke. Ich folgte ihm. »Die Insel Brindamoor - ein trübseliger Ort. Warum wollen Sie ausgerechnet darüber etwas erfahren?«
    »Ich bin Professor an der UCLA, auf der Durchreise, und es gehört nun mal zu meiner Untersuchung. Ich wußte nicht, daß ich Ihnen gegenüber Erklärungen abzugeben habe.«
    »O nein, das ist nicht nötig«, sagte er rasch und begrub seine Nase in einem Stapel von Karteikarten. Er nahm eine Portion heraus und blätterte sie durch wie ein Profispieler in Las Vegas. »Hier«, sagte er. »Die Arbeit ist vor sechs Monaten ausgeliehen worden- ganz schön überzogen, der Termin, nicht wahr?«
    Ich nahm die Karte in die Hand. Gretchens Meisterwerk erfuhr nur geringe Aufmerksamkeit. Vor der letzten Ausleihe, die inzwischen ein halbes Jahr zurücklag, war sie zuletzt 1954 verliehen worden, an Gretchen selbst. Vermutlich wollte sie sie ihren Kindern zeigen: Da, seht einmal, was Mammi für eine tolle Studentin war…
    »Manchmal kommen wir nicht nach mit den Mahnungen wegen Überschreitens der Ausleihfristen, Professor«, sagte er jetzt pflichtschuldigst. »Ich kümmere mich darum. Wer hat die Arbeit denn zuletzt ausgeliehen?«
    Ich schaute die Unterschrift an und sagte es ihm. Erst als der Name meinen Mund verlassen hatte, verarbeitete mein Gehirn die Information. Und als die zwei Worte verflogen waren, wußte ich, daß meine Mission nicht erfüllt war, ohne einen Besuch auf der Insel Brindamoor.

24
    Die Fähre nach der Insel Brindamoor verließ den Hafen morgens um halb acht. Als ich vom Portier um sechs geweckt wurde, hatte ich mich bereits geduscht und rasiert, und ich schaute mit frischen, klaren Augen in die Welt. Es hatte wieder zu regnen begonnen, schon kurz nach Mitternacht, und die Regenböen waren gegen die Glaswände der Suite geklatscht. Einen traumversunkenen Augenblick lang war ich davon aufgewacht und hatte geglaubt, die Hufe eines Kavallerietrupps durch den Korridor stampfen zu hören, konnte aber gleich danach ohne große Mühe wieder einschlafen. Jetzt goß es immer noch; die Stadt vor den großen Fensterflächen schien unter Wasser zu stehen und war nur unscharf zu erkennen, wie wenn man sie aus dem Inneren eines schmutzigen Aquariums betrachtete. Ich zog

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