Blackout
singen, und riß den Kopf hoch und wieder zurück. Dabei bemühte er sich, möglichst nüchtern zu wirken, doch das nahm ihm keiner ab. Wie ein Betrunkener, der alles daransetzt, nüchtern zu erscheinen, waren seine Bewegungen übertrieben, unnatürlich und ohne jegliche Spontaneität. Sie bewirkten das Gegenteil: Er sah aus wie ein hungriger Schakal auf der Jagd, verzweifelt, von innen her zerfressen. Seine Haut glänzte vom Schweiß und war dazu bleich und ungesund. Wenn er sich den Passanten schwankend näherte, gingen sie ihm aus dem Weg.
Ich beschleunigte, fuhr zwei Blocks weit und parkte den Wagen dann in der Nähe einer Gasse hinter einem dreistöckigen Gebäude mit einem spanisch-mexikanischen Lebensmittelladen im Parterre und Wohnungen in den oberen Stockwerken.
Ein kurzer Blick in den Rückspiegel sagte mir, daß Rafael sich von hinten näherte.
Ich stieg aus dem Wagen und trat einen Schritt in die Gasse hinein, wo es nach verfaulenden Lebensmitteln und Urin stank. Leere und zerbrochene Weinflaschen lagen auf dem Gehsteig herum. Dreißig Meter weiter war eine derzeit nicht benützte Laderampe; ihre Tore waren geschlossen und verriegelt. Ein Dutzend Fahrzeuge parkte illegal auf beiden Seiten; die Ausfahrt zur Straße blockierte ein Halbtonner, den sein Fahrer quer zu den Häusern abgestellt hatte. Irgendwo in der Nähe spielte eine Mariachi-Kapelle ›Cielito lindo‹. Eine Katze miaute. Draußen auf dem Boulevard stöhnten die Hupen der Autos. Ein Baby weinte.
Ich steckte meinen Kopf hinaus und zog ihn wieder zurück. Rafael war noch einen halben Block entfernt. Ich machte mich bereit, und als er die Gasse erreicht hatte, sagte ich in lautem Flüsterton zu ihm: »Hey, Mann, ich hab’, was du brauchst.« Das ließ ihn ruckartig stehenbleiben. Er schaute mich an, als sei ich der Heilsbringer, doch das änderte sich rasch, als ich ihn an einem seiner mageren Handgelenke packte und in die Gasse hineinzog. Dort blieb ich erst nach ein paar Metern stehen, wo wir Deckung hatten hinter einem alten Chevy mit abblätterndem Lack und zwei platten Reifen. Jetzt drückte ich ihn an die Hauswand, und er hob schützend beide Hände. Ich packte sie, riß sie wieder nach unten und hielt sie dann mit einer meiner Hände fest. Er wehrte sich, hatte aber keine Kraft. »Was wollen Sie, Mann?«
»Antworten, Rafael. Erinnern Sie sich an mich? Ich war vor ein paar Tagen bei Ihnen. Mit Raquel.«
»Hey, ja klar«, sagte er, aber in den wäßrigen Haselnußaugen war nur Verwirrung zu sehen. Rotz lief ihm aus einem Nasenloch in den Mund. Er ließ es eine Weile dabei, streckte dann die Zunge heraus und versuchte, den Rotz abzulecken. »Ja, ich erinnere mich, Mann. Mit Raquel, klar.« Er schaute sich in der Gasse um.
»Dann erinnern Sie sich auch, daß ich versuche, den Mord an Ihrer Schwester aufzuklären.«
»O ja, sicher, Elena. Böse Sache das, Mann.« Er sagte es völlig gefühllos. Seine Schwester war buchstäblich aufgeschlitzt worden, und er dachte an nichts als an ein Päckchen weißen Pulvers, das in eine besondere Art von Milch verwandelt werden konnte. Ich hatte Dutzende von Lehrbüchern über Rauschgiftsucht gelesen, aber erst hier, in dieser Gasse, wurde mir klar, welche Macht die Nadel über manche Menschen hatte.
»Sie hatte Tonbänder, Rafael. Kassetten. Wo sind sie?«
»Hey, Mann, ich weiß nichts von irgendwelchen Scheiß-Tonbändern.« Er versuchte, sich freizumachen aus meinem Griff. Ich preßte ihn gegen die Wand. »Oh, Mann, Sie tun mir weh. Warten Sie, bis ich ein bißchen besser beisammen bin, dann können wir über die Tonbänder sprechen. Okay, Mann?«
»Nein. Ich will es jetzt wissen, Rafael. Wo sind die Bänder?«
»Ich weiß es nicht, Mann, das hab’ ich doch schon gesagt.« Er jammerte rotznäsig wie ein Dreijähriger und wurde von Sekunde zu Sekunde hektischer.
»Ich glaube, Sie wissen es, und ich möchte, daß Sie es mir sagen.«
Er hüpfte auf und ab, aber ich hielt ihn fest. »Laß mich los, du Schweinehund!« keuchte er. »Ihre Schwester ist ermordet worden, Rafael. Ich habe Photos gesehen; sie sah danach furchtbar aus. Wer auch immer ihr das angetan hat, er hat sich Zeit gelassen. Das hat ihr weh getan. Und Sie sind bereit, mit diesen Killern zu verhandeln.«
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden, Mann.« Wieder wehrte er sich, wieder preßte ich ihn gegen die Mauer. Diesmal sackte er nach unten, schloß die Lider, und ich dachte einen Moment lang, ich hätte ihn k. o.
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