Blackout
Kind jammerte, die Mutter kaute Kaugummi und stapfte mit dicken Beinen unendlich langsam über die Kreuzung. Etwas Metallisches blitzte in der Hand, die ich durch den Außenspiegel beobachtete. Der Motorradfahrer war direkt hinter mir, fast auf einer Höhe mit der Fahrertür. Jetzt konnte ich die Schußwaffe sehen, einen häßlichen, kleinen, kurzläufigen Revolver, den man leicht in einer großen Hand verbergen konnte. Ich ließ den Motor aufheulen. Die gummikauende Mutter beeindruckte das nicht im mindesten. Sie ging wie in Zeitlupe weiter, arbeitete dabei faul mit ihren Kiefern, und das Kind schrie, so laut es konnte. Die Ampel stand immer noch auf Rot, aber inzwischen waren auch die Ampeln der Querstraße auf Rot geschaltet worden. Die längste Schaltphase in der Geschichte desj Verkehrs… Wie lange konnte eine Verkehrsampel auf Rot bleiben?
Die Mündung des Revolvers wurde gegen das Glas gepreßt, direkt in einer Linie mit meiner linken Schläfe. Ein schwarzes Loch, meilenlang eingehüllt in ein konzentrisches, silbernes Halo. Die Mutter hatte immer noch Mühe, ihren verfetteten, faulen Leib aus der Kreuzung zu bringen, hatte jetzt ihre Absätze an meinem rechten Kotflügel. Sie konnte allerdings nicht wissen, daß der Mann im grünen Cadillac im nächsten Moment eine Kugel in den Kopf bekommen würde. Der Finger krümmte sich am Abzug. Die Mutter war gerade ein paar Zentimenter aus der Gefahr. Ich riß das Lenkrad nach links, drückte das Gaspedal ganz durch und schoß diagonal über die Kreuzung auf die gegenüberliegende Fahrbahn, jagte den Motor hoch, legte eine Radierspur hinter mich, hörte einen delphinischen Chor aus Verwünschungen, Gebrüll, Gehupe und quietschenden Bremsen und schoß durch die erste Seitenstraße, wobei ich gerade noch einem entgegenkommenden Reparaturwagen der Wasser- und Elektrizitätswerke ausweichen konnte.
Die Straße war schmal und kurvenreich, dazu mit Schlaglöchern übersät. Der Seville war kein Sportwagen, und ich konnte sein starres Lenksystem bei den scharfen Kurven nur mühsam unter Kontrolle halten. Die Straße stieg steil an, senkte sich dann ebenso steil, und die Kreuzung mit einem Boulevard am unteren Ende des Hügels war frei. Ich raste hinüber. Drei Blocks einer geraden Strecke und siebzig Stundenmeilen, dann war das Summen wieder hinter mir und wurde lauter. Der Motorradfahrer holte mich rasch ein. Die Straße endete an einem halbverfallenen Holzzaun. Links oder rechts? Entscheidungen, während das Adrenalin durch jede Korpuskel schoß, aber das Summen war jetzt ein Dröhnen geworden, meine Hände, schweißnaß, drohten vom Lenkrad abzurutschen. Ich schaute in den Spiegel, sah, wie er eine Hand vom Lenker nahm und auf meine Reifen zielte. Ich entschied mich für links und drückte das Gaspedal mit voller Kraft durch. Die Straße stieg wieder an, vorbei an leeren Querstraßen, immer höher, in Windungen hinauf in den Smog, eine Achterbahn von Straße, von einem wahnwitzigen Ingenieur geplant und angelegt. Der Motorradfahrer blieb hinter mir und nahm seine Rechte vom Lenker, so oft es die Straße erlaubte, wartete auf den Moment, wo er zielen konnte… Ich fuhr ständig in Schlangenlinien, verschwand für kurze Zeit aus seiner Sicht, doch die Straße war eng und gewährte mir wenig Spielraum. Ich wußte, daß ich nicht in einen regelmäßigen Rhythmus verfallen durfte, sonst wäre ich ein leichtes Ziel für ihn geworden. Also zischte ich völlig unberechenbar hin und her, von der einen Seite auf die andere, riß das Lenkrad herum, krachte gegen den Randstein, verlor eine Radzierkappe, die danach wie eine verchromte Frisbeescheibe durch die Luft sauste. Es war ein Generalangriff auf die Vorderachse meines Wagens, und ich wußte nicht, wie lange sie halten würde.
Wir fuhren weiter bergauf. Hinter einer Kurve konnte man von weit oben hinunterschauen auf den Sunset Boulevard. Wir waren wieder im Echo Park, auf der Südseite des Boulevards. Die Straße erreichte den Gipfel. Ein Schuß sauste so dicht an mir vorbei, daß die Fenster des Seville vibrierten. Ich kurvte weiter, und der zweite Schuß ging um einige Meter daneben. Mit der Höhe änderte sich die Landschaft, die Holzhäuser wichen allmählich leeren, staubigen Bauplätzen, wo nur hier und da kleinere Hütten standen. Keine Telefonmasten mehr, keine Wagen, keine Zeichen menschlicher Behausung… Der ideale Platz für einen Mord am Nachmittag. Wir begannen wieder hinunterzurasen, und ich bemerkte mit
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