Blackout
verletzte Kinder versorgt hat, wenn wir ihn angerufen haben. Trotzdem muß er so krank sein wie die anderen, wieso würde er sonst Gus in den Hintern kriechen?: Ich ignorierte die Frage, die ohnehin rhetorisch war, und stellte dafür eine andere.
»Seit wann ist diese Erpressungsaktion gelaufen?«
»Seit ein paar Monaten. Ich sagte es ja, wir haben die Kinder besonders ausgesucht, um sicherzugehen, daß sie nicht plauderten. Aber dann ist uns eine Sache danebengegangen. Da war dieser Junge, ein Waisenkind, ideal geeignet. Alle haben gedacht, daß er taubstumm ist. Jesus, er hat nie auch nur ein Wort mit uns gesprochen. Wir haben Sprech- und Hörtests mit ihm unternommen - die Regierung bezahlt uns dafür-, und das Ergebnis lautete: taubstumm. Wir waren so sicher, und wir haben uns doch getäuscht. Das Kind hat natürlich reden können. Es hat seiner Lehrerin alles mögliche erzählt. Sie ist ausgeflippt und hat es Vetter Will gemeldet- Will war der behandelnde Arzt des Jungen. Dabei konnte sie natürlich nicht wissen, daß er selbst mit drinnensteckte. Und er hat es Gus gesagt.«
Und Gus hatte den Jungen töten lassen. Cary Nemeth. »Was dann?«
»Ich - müssen wir darüber sprechen?«
»Das müssen wir, verdammt noch mal! Wie habt ihr es gemacht?«
»Sie haben ihn mit einem Lastwagen überfahren. Haben ihn in der Nacht aus dem Bett gerissen, es muß kurz vor Mitternacht gewesen sein. Um die Zeit hält sich kein Mensch dort draußen auf. Sie haben ihn auf die Straße gebracht, und er sollte einfach weitergehen. Im Pyjama. Ich erinnere mich an den Pyjama: gelb, mit Basebällen und Fanghandschuhen drauf. Ich- ich hätte natürlich versuchen können, die Sache zu stoppen, aber es hätte nichts daran geändert. Der Junge wußte alles, er konnte sprechen, also mußte er weg. So einfach. Sie hätten es später doch getan, und wahrscheinlich wäre ich dann auch drangewesen. Es war nicht recht, einem kleinen Jungen so etwas anzutun. Kaltblütig. Ich wollte etwas dagegen sagen. Gus hat meinen Arm gepackt und gesagt, ich soll das Maul halten. Ich wollte schreien. Der Junge ging auf der Straße dahin, ganz allein, schlaftrunken, so, als ob er träumte. Ich schwieg. Halstead setzte sich in den Lastwagen, fuhr damit ein Stück weiter. Ich hörte, wie er hinter der nächsten Kurve den Motor aufheulen ließ. Dann kam er daher, mit großem Tempo, die Scheinwerfer aufgeblendet. Er hat das Kind von hinten erwischt. Ich glaube, der Junge hat gar nichts gemerkt. Er war sowieso halb im Schlaf.«
Jetzt hielt er inne, keuchte und schloß die Augen. »Gus hat erst gemeint, wir sollten die Lehrerin gleich erledigen, aber dann entschloß er sich, zunächst einmal zu warten, bis er wußte, ob sie es weitergesagt hatte oder nicht. Er ließ sie von Halstead beobachten. Der hat ihre Wohnung beschattet. Aber sie war nie da. Nur das Mädchen, mit dem sie die Wohnung teilte. Eigentlich wollte Halstead schon sie kidnappen und sehen, ob er es aus ihr herausprügeln kann. Aber dann ist die Lehrerin mit einem Mann zurückgekommen - das war Handler. Die Lehrerin hat ihre Sachen abgeholt, so, als ob sie bei dem Mann wohnen wollte. Halstead hat es Gus gemeldet. Jetzt wurde die Sache kompliziert. Sie beobachteten die zwei und stellten fest, daß sie sich mit Bruno trafen. Wir kannten Bruno - er hatte schon für La Casa gearbeitet und schien ein feiner Kerl zu sein. Sehr mitteilsam und extravertiert. Die Kinder haben ihn geliebt. Und da wurde uns klar, daß er ein Spion war. Jetzt mußte schon drei Leuten der Mund gestopft werden.
Ein paar Tage später kamen die Anrufe. Es war Bruno, ‘der seine Stimme verstellte, aber wir haben ihn sofort erkannt. Er sagte, er hätte Bänder, auf denen der Nemeth-Junge alles erzählte. Er spielte sogar ein paar davon übers Telefon vor. Es waren blutige Amateure; sie ahnten nicht, daß Gus sie schon vom ersten Tag an auf dem Kieker hatte. Es war richtig rührend.«
Rührend war das richtige Wort für das Szenario. Man nehme ein nettes Mädchen: Elena Gutierrez, aus dem Barrio stammend, attraktiv und lebensbejahend. Vielleicht ein bißchen materialistisch, aber zugleich warmherzig und zum Mitleid fähig. Eine begabte Lehrerin. Bedrückt über ihren Job, ausgebrannt, sucht sie Hilfe, läßt sich von Dr. Morton Handler, einem Psychiater und Psychopathen, behandeln. Geht schließlich mit ihm ins Bett, erzählt ihm aber weiterhin von ihren Problemen - wobei zu den größeren die Sache mit dem Jungen zählt, der nie
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