Blackout
nie so, daß sie Schwierigkeiten hatte mit dem Appetit oder dem Schlaf. Sie wurde höchstens etwas ruhiger als sonst.«
»Aber sie hat gesagt, daß sie unter Depressionen litt?«
»Erst nachdem sie mir erzählt hatte, daß sie zu Handler ging - daraufhin habe ich sie nach dem Grund für ihre Besuche bei einem Psychiater gefragt. Sie meinte, sie fühlte sich irgendwie down, und die Arbeit gehe ihr auf die Nerven. Ich versuchte, ihr zu helfen, doch sie meinte, das reiche nicht aus. Ich muß ehrlich sagen, ich selbst habe nie viel für Psychiater und Psychologen übrig gehabt.« Sie lächelte und bat damit um Verzeihung. »Wenn man Freunde und eine Familie hat, kann man mit so etwas auch allein fertigwerden.«
»Wenn das geht, um so besser. Aber manchmal ist es auch so, wie sie sagte, Raquel. Man braucht mehr als das.«
Sie drückte ihre Zigarette aus.
»Wahrscheinlich ist es Ihr Glück, daß Ihnen viele Leute recht geben.«
»Vermutlich.«
Danach herrschte ein etwas unangenehmes Schweigen. Ich brach es.
»Hat er ihr irgendwelche Medikamente verschrieben?«
»Soviel ich weiß, nein. Er hat nur mit ihr gesprochen. Sie hat ihn wöchentlich besucht, dann, nachdem einer ihrer Schüler umgekommen war, zweimal in der Woche. Damals war sie eindeutig deprimiert und hat tagelang geheult.«
»Wann war das?«
»Mal sehen, es war ziemlich bald, nachdem sie begann, Handler zu besuchen. Vielleicht haben sie sich zu dieser Zeit schon privat getroffen - ich weiß es nicht. Aber es war vor etwa acht Monaten.«
»Was ist da passiert?«
»Ein Unfall. Fahrerflucht. Der Junge ist nachts über eine dunkle Straße gegangen, und ein Wagen hat ihn erwischt. Es hat sie völlig fertiggemacht. Sie hatte zuvor monatelang mit ihm gearbeitet. Er war eines von ihren Wunderkindern. Jeder hatte gedacht, der Junge sei taubstumm. Elena hat ihn zum Reden gebracht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ein Wunder. Und dann mußte er so schrecklich zugrunde gehen. So sinnlos.«
»Die Eltern müssen verzweifelt gewesen sein.«
»Nein. Er hatte keine Eltern, war ein Waisenkind. Er kam von La Casa.«
»La Casa de los Ninös? Im Malibu Canyon?«
»Klar. Warum überrascht Sie das? Die haben einen Vertrag mit uns, damit wir uns besonders mit einigen von ihren Kindern befassen. Wir sind nicht die einzige Schule; das Heim hat auch Verbindungen mit einigen anderen Schulen in der Gegend. Es ist ein vom Staat finanziertes Projekt oder so. Es geht darum, Kinder ohne Familien in die Gemeinschaft einzuführen.«
»Es überrascht mich nicht«, log ich. »Aber es ist wirklich traurig, wenn so etwas auch noch mit einem Waisenkind passiert.«
»Ja. Das Leben ist unfair.« Diese Erklärung schien sie zu befriedigen.
Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Noch was? Ich muß zurück.«
»Nur noch eine Frage. Erinnern Sie sich an den Namen des Kindes, das bei dem Verkehrsunfall umgekommen ist?«
»Nemeth. Cary oder Corey. So ähnlich.«
»Danke, daß Sie mir so viel Zeit geopfert haben. Sie waren mir eine große Hilfe.«
»Wirklich? Ich verstehe nicht, wieso. Aber ich bin froh, wenn Sie das, was ich Ihnen sagte, diesem Monster vielleicht einen Schritt näher bringt.«
Sie brachte eine sehr konkrete Vision des Mörders, um die Milo sie beneidet hätte.
Wir fuhren zurück zur Schule, und ich ging mit ihr zu ihrem Wagen.
»Okay«, sagte sie. »Nochmals vielen Dank.«
»Gern geschehen. Wenn Sie noch Fragen haben, kommen Sie gern wieder.« So weit konnte sie gehen und keinen Schritt weiter- für sie war es, als ob sie mich in ihre Wohnung eingeladen hätte. Es machte mich traurig, zu wissen, daß ich nichts für sie tun konnte. »Bestimmt.«
Sie lächelte und gab mir ihre Hand. Ich ergriff sie und achtete darauf, sie nicht zu lange festzuhalten.
14
Ich habe nie viel von Zufällen gehalten. Vielleicht kommt es daher, daß die Vorstellung eines Lebens, dessen Entstehung von der zufälligen Kollision bestimmter Moleküle im All abhängig ist, meiner beruflichen Identität einen entscheidenden Schlag versetzt. Denn wozu lernen wir all die Jahre, wie man den Menschen helfen kann, daß sie sich ändern, wenn bewußte Veränderungen nichts als Illusionen sind? Aber selbst wenn ich bereit gewesen wäre, dem Schicksal ein gewisses Recht einzuräumen, hätte ich es nicht als einen Zufall angesehen, daß der dahingeschiedene Cary oder Corey Nemeth, ein Schüler der dahingeschiedenen Elena Gutierrez, in derselben Institution gelebt hatte, wo der dahingeschiedene Maurice Bruno
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