Blackout
den Armen gefaßt, so daß seine Füße einige Zentimeter über dem Boden baumelten.
Es waren beide kräftige Männer, aber der Junge machte es ihnen nicht leicht. Er wand sich und balgte wie ein Frettchen in der Falle, öffnete den Mund und stieß ein wortloses Stöhnen aus. Halstead drückte ihm seine Hand auf den Mund, doch der Junge konnte sich befreien und schrie wieder laut. Halstead preßte ihm wieder die Hand auf den Mund, und in diesem Augenblick verschwanden sie aus meinem Blickfeld; der Wechsel von Schreien und gedämpftem Grunzen erhob sich zu einem verrückten Trompetensolo, das allmählich leiser wurde und schließlich nicht mehr zu hören war. Danach herrschte wieder völlige Stille auf dem Gelände, und ich war allein, den Rücken an die Wand gedrückt, schweißgebadet, mit feuchter Kleidung, die mir am Körper klebte. Ich hatte das Bedürfnis, irgendeine heroische Tat zu begehen und mich aus der tödlichen Trägheit zu lösen, die sich wie schnelltrocknender Zement um meine Knöchel gelegt hatte. Aber ich konnte niemanden retten. Ich kam mir vor wie ein Mann, der aus seinem Element geraten war. Wenn ich ihnen gefolgt wäre, hätten sie mir für alles vernünftig klingende Erklärungen geliefert und mich dann durch eine Herde von Wachleuten rasch hinauskomplimentiert, wobei sich alle Anwesenden mein Gesicht einprägen mußten, damit sich die Tore von La Casa nie wieder für mich öffneten. Und das konnte ich mir nicht leisten - noch nicht. Also drückte ich mich nach oben, lehnte immer noch an der Wand, eingehüllt in die Stille einer Geisterstadt, und fühlte mich elend und hilflos. Ich ballte die Fäuste, bis es weh tat, und lauschte dem trockenen Geräusch meines eigenen Atems, der sich anhörte wie das Scharren von Stiefeln auf Pflastersteinen. Ich verbannte das Bild des sich wehrenden Jungen aus meinen Gedanken.
Als ich sicher sein konnte, daß mich niemand sehen würde, schlich ich mich zu meinem Wagen zurück.
17
Als ich zum erstenmal anrief, um acht Uhr morgens, kam niemand an den Apparat. Eine halbe Stunde später war die Universität von Oregon gesprächsbereit. »Guten Morgen.«
»Guten Morgen. Hier Doktor Gene Adler aus Los Angeles. Ich arbeite bei der psychiatrischen Abteilung des Western Pediatric Medical Centers in Los Angeles. Wir haben die Stelle eines Fachberaters ausgeschrieben. Einer der Bewerber führt in seinem Studiengang an, daß er an Ihrer Hochschule ein Magister-Diplom in Erziehungsberatung erworben hat. Im Verlauf unserer Routineüberprüfung der Bewerber möchte ich Sie bitten, daß Sie mir seine Angaben bestätigen.«
»Ich verbinde Sie mit Marianne vom Archiv.« Marianne hatte eine warme, freundliche Stimme, aber als ich meine Geschichte wiederholte, erklärte sie mit Nachdruck, daß dazu eine schriftliche Anfrage nötig sei.
»Das kann ich gut verstehen«, sagte ich. »Doch das dauert dann eben. Die Stellung, für die sich dieser Mann beworben hat, ist sehr begehrt. Wir haben die Absicht, unsere Entscheidung innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu treffen. Es geht ja nur um eine Formsache - für Sie um einen Blick in Ihre Unterlagen-, aber unsere Haftpflicht-Versicherung besteht darauf, daß wir vor der Anstellung eines Bewerbers diese Informationen einholen. Wenn Sie wollen, kann ich den Bewerber bitten, daß er Sie anruft und Sie zur Herausgabe der Information autorisiert. Es ist ja nur in seinem eigenen Interesse. «
»Ja, also… Ach, es wird schon in Ordnung gehen. Sie wollen lediglich wissen, ob diese Person ein Diplom erhalten hat, nicht wahr? Keine weiteren persönlichen Angaben?«
»Das ist richtig.«
»Wer ist der Bewerber?«
»Ein gewisser Timothy Kruger. Er gibt an, vor vier Jahren den Titel eines M. A. erworben zu haben.«
»Einen Moment.«
Sie ließ mich zehn Minuten warten, und als sie ans Telefon zurückkehrte, machte sie einen aufgeregten Eindruck. »Doktor, ihre formelle Anfrage hat sich als durchaus berechtigt erwiesen. Es gibt in unserem Archiv keine Eintragung über irgendwelche Titel oder Diplome, die eine Person dieses Namens in den letzten zehn Jahren erworben hätte. Wir haben allerdings einen Timothy Jay Kruger in den Unterlagen, der ein Semester lang einen Fachkurs an unserer Universität belegt hatte, aber sein Fach war nicht Erziehungswissenschaft. Er besuchte die Kurse zum Lehramt an Grundschulen, und er hat die Universität bereits nach diesem einen Semester ohne irgendwelche Abschlüsse verlassen.«
»Ich verstehe.
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