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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ein altruistischer Trieb, wenn sie so wollen. Ich weiß, das schlägt der modernen Psychologie ins Gesicht, die davon ausgeht, daß Triebe nur auf irgendwelche Formen der Befriedigung eigener Bedürfnisse beschränkt sind; dennoch glaube ich, daß ich recht habe. Ich behaupte, daß der Altruismus so grundlegend ist wie Hunger und Durst. Sie zum Beispiel haben Ihre altruistischen Bedürfnisse durch die Wahl Ihres Berufs gestillt. Als Sie zu arbeiten aufhörten, kehrte der Hunger zurück.« Er breitete die Arme aus. »Und nun sind Sie hier.« Er zog eine Schreibtischschublade auf, nahm eine Broschüre heraus und reichte sie mir. Sie war auf Hochglanzpapier und gut gemacht - vermutlich so poliert wie der Jahresbericht eines Industriekonzerns.
    »Auf Seite sechs finden Sie einen Auszug aus der Liste der derzeitigen Mitglieder unseres Verwaltungsrats.« Ich fand sie. Für einen Auszug war sie erstaunlich lang und lief in kleinem Druck über die ganze Seite. Außerdem war sie beeindruckend. Sie enthielt die Namen von zwei Bezirksräten, eines Stadtrats, des Bürgermeisters, von Richtern, Menschenfreunden, Größen der Unterhaltungsindustrie, Anwälten, Geschäftsleuten und vielen Medizinern, deren Namen mir zum Teil bekannt waren. Wie der Name L. Willard Towle. »Das sind alles vielbeschäftigte Männer, Doktor. Und doch finden sie Zeit für unsere Kinder. Das kommt daher, daß wir wissen, wie man diese innere Quelle anzapft, diese Quelle des Altruismus.«
    Ich blätterte die Broschüre durch. Es gab einen Glückwunschbrief des Gouverneurs, viele Photos von Kindern, die sich vergnügten, und noch mehr Photos von McCaffrey. Sein gewaltiger Körper erschien in Nadelstreifen bei einer Donahue Talkshow, im Smoking bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung des Music Centers, in einem Jogginganzug mit einer Gruppe seiner jüngeren Angestellten neben der Ziellinie der Aschenbahn bei den Olympischen Spielen für Behinderte. McCaffrey mit Fernsehgrößen, mit Bürgerrechtskämpfern, mit Countrysängern und mit Bankpräsidenten.
    Auf halbem Weg beim Durchblättern der Broschüre fand ich ein Photo von McCaffrey in einem Raum, den ich kannte: Es war der Hörsaal beim Western Pediatric. Neben ihm stand mit schimmerndem, weißem Haar mein Freund Towle, und auf der anderen Seite ein kleiner Mann, dick, froschartig, mit einer grimmigen Miene, obwohl er lächelte. Das war dieser Kerl mit den Peter Lorre-Augen, den ich auch schon auf einem Photo in Towles Büro gesehen hatte. Die Legende unter dem Photo erklärte, daß es Edwin G. Hayden, der oberste Richter beim Jugendfürsorgegericht war. Der Anlaß für die Zusammenkunft war McCaffreys Rede an die Mediziner des Krankenhauses über ›Kinderfürsorge in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft‹ gewesen.
    »Befaßt sich Doktor Towle viel mit La Casa?« fragte ich. »Er ist einer unserer Verwaltungsräte und zugleich einer der freiwilligen Ärzte. Seine Dienste sind für uns von unschätzbarem Wert.«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    In der nächsten Viertelstunde führte er mir sein Buch vor, einen broschierten, bei einem örtlichen Verlag gedruckten Band voll saccharinsüßer Klischees und erstklassiger Graphik. Ich kaufte ein Exemplar für fünfzehn Dollar, nachdem er mir eine im Vergleich zu Krugers Schilderung gehobene Version seines Talents, Geld lockerzumachen, demonstriert hatte. Die billige Ausstattung des Büros verlieh seiner Rolle die nötige Glaubwürdigkeit. Außerdem hatte ich eine Überdosis positiven Denkens hinter mir, und dies schien mir ein geringer Preis für die Ausnüchterung zu sein.
    Er nahm die drei Fünfdollarnoten, faltete sie und legte sie sehr umständlich in eine Sammelbox auf dem Schreibtisch. Auf der Quittung prangte die Zeichnung eines ernst dreinschauenden Kindes mit Augen, die in Größe, Leuchtkraft und dem Ausdruck seelischer Verletztheit an Sarah Quinn erinnerten. McCaffrey stand auf, dankte mir für den Besuch und nahm meine Hand in seine beiden Riesenhände. »Ich hoffe, wir sehen mehr von Ihnen, Doktor. Bald.« Ich erwiderte das Lächeln. »Darauf können Sie sich verlassen, Reverend.« Großmama war für mich bereit, als ich hinaustrat in das Wartezimmer. Sie hatte einen kleinen Stapel von Faltblättern und zwei gespitzte Bleistifte zurechtgelegt, die sie mir in die Hand drücken wollte.
    »Sie können gleich hier ausfüllen, Doktor Delaware«, sagte sie lieb.
    Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr.
    »Meine Güte- es ist später geworden als ich

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