BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Hotellobby sagte Manzano: »Ich muss dich noch einmal um Entschuldigung dafür bitten, in was ich dich hineingezogen habe. Ich … wusste nicht, wohin ich sonst hätte gehen können.«
»Ich hätte euch nicht mit ins Büro nehmen müssen«, erwiderte sie. »Ein Glück, dass ich es getan habe.«
»Bekommst du ein Taxi?«, fragte er.
»Bestimmt. Die Tankstellen pumpen wieder. Bloß unsere Wasserleitung im Haus noch nicht.« Sie lachte. »Aber das bin ich inzwischen ja gewohnt.«
»Du kannst bei mir duschen«, bot Manzano grinsend an. »Wäre nicht das erste Mal.«
»Du willst mich bloß auf dein Zimmer locken.«
»Selbstverständlich.«
Sie hatten den Hotelausgang erreicht, vor dem tatsächlich ein paar Taxis warteten. Zum Abschied umarmten sie sich. Küssten einander. Noch einmal. Angström spürte seine Hände auf ihrem Rücken, ihren Schultern, fand ihre eigenen an seinen Hüften, seinem Hals. Ohne voneinander zu lassen, hasteten sie zum Fahrstuhl, achteten nicht auf die anderen Gäste, drängten in der zweiten Etage über den Flur, wo Manzano die Schließkarte aus der Hose nestelte und die Zimmertür öffnete. Er schob sie, sie zog ihn hinein, ihre Hände unter seinem Pullover, seine in ihrer Bluse, an ihrem Po, sie stolperten in der Dunkelheit, fielen fast hin. Angström fing sich, fand die Karte noch in seiner Hand, schob sie in den dafür vorgesehenen Schlitz neben der Tür, der den Stromkreislauf im Zimmer aktivierte.
Mit einem leisen Klicken sprang dezentes, warmes Licht an.
»Wenn wir es schon haben«, flüsterte sie, während er ihren Hals küsste. »Ich möchte dich sehen.«
Seine Hand tastete nach dem Schalter, dimmte das Licht fast bis zum Verschwinden. »Aber wir sollten sparsam damit umgehen. So ein schöner Anblick bin ich gerade ohnehin nicht.«
Sie küsste neben die Narbe auf seiner Stirn.
»Das wird wieder.«
Berlin
Michelsen und einige Kollegen hatten ein Auto mit Fahrer der Bereitschaft ergattert, der sie zum ersten Mal seit über einer Woche nach Hause brachte. Sie war die Letzte auf seiner Route.
Die Fahrt durch die Stadt fand sie gespenstisch. An den meisten Fassaden leuchteten wieder die Reklamen, Geschäftsnamen, Firmenlogos. Auf den Bürgersteigen türmten sich die Müllsäcke streckenweise mannshoch. Viele waren aufgerissen, ihr Inhalt quoll auf die Straße. Tüten häuften sich auch auf der Fahrbahn und tauchten unvermittelt im Scheinwerferlicht des Wagens auf. Dazwischen streunten Hunde und Ratten herum.
In vielen Häusern schien Licht aus den Fenstern. Die Menschen hatten es nicht erwarten können, die Notquartiere zu verlassen und in ihr Zuhause zurückzukehren. Schon ab morgen, dachte Michelsen, würden ihr Ärger und ihre Enttäuschung wachsen, wenn sie feststellen müssten, dass kein Wasser lief und die Supermärkte geschlossen blieben. Zwar hatten sie über Rundfunk dazu aufgerufen, vorläufig noch in den Lagern zu bleiben. Aber wer konnte es den Menschen verübeln? Sie selbst war gerade unterwegs zu ihrer Wohnung. Allerdings wusste sie, dass sie am nächsten Tag im Ministerium von einer funktionierenden Toilette und Dusche bis zu Nahrung alles vorfinden würde.
Vor ihnen ragten am Straßenrand eigenartig gebogene Streben zwischen zwei Autowracks meterweit hoch. Rippen, erkannte Michelsen im Vorbeifahren, gigantische Rippen eines Tierkadavers!
»Was war das?«, rief sie dem Fahrer zu. Für ein Rind war es viel zu groß gewesen.
»Die Überreste eines Elefanten aus dem Tiergarten, soviel ich gehört habe«, erwiderte er ungerührt. »Viele der Tiere sind in den vergangenen Tagen aus dem Zoo geflüchtet.«
Sie musste an die Giraffe mit ihren Jungen denken.
»Die meisten wurden von Hungernden geschlachtet«, fuhr der Fahrer fort. Konnte man Elefantenfleisch essen?, fragte sich Michelsen erschüttert.
Im Radio liefen Nachrichten. Die meisten europäischen Staaten hatten in weiten Teilen eine Grundversorgung wiederhergestellt, und langsam sprachen sich die großen Katastrophen bis zu den Sendern durch. Über die Tragödie von Saint-Laurent und das Desaster in Philippsburg hatten die ersten bereits gegen Mittag berichtet. Nun, dachte Michelsen, sie werden in den nächsten Tagen keinen Mangel an schrecklichen Neuigkeiten haben. Von den Chemieunfällen in Spanien, Großbritannien, Deutschland, Polen, Rumänien und Bulgarien über die zahllosen und vielfältigen menschlichen Katastrophen bis zu den langfristigen Folgen. Aus den USA kamen ähnliche Meldungen.
Der Fahrer
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