Blackout
Lloyd. Bei allem, was du sonst so am Laufen hast.«
Die Hintertür des Vans, die aufgeklappt am abgedeckten Auto lehnte, quietschte, als er sie zuwarf. Ich folgte ihm ins Haus. Bei früheren Gelegenheiten war ich auch schon hier gewesen, um ihn abzuholen oder ein Manuskript vorbeizubringen, aber nun betrat ich zum ersten Mal das Hausinnere. Es war dunkel, nur ein paar sporadische Lampen beleuchteten Küche und Wohnzimmer. In der Spüle türmten sich die schmutzigen Teller, und das saubere Geschirr stapelte sich auf den Abstellflächen, als hätte niemand die Energie, es in die Schränke zu räumen. Eine zerwühlte Decke auf der Couch, auf der noch ein paar große Kissen und Sofazierkissen durcheinanderlagen. Die Luft war so feucht, als hätte kurz zuvor noch jemand gekocht. Eine beleibte Frau saß auf einem Sessel, sah sich eine spanische Talkshow an und nippte an einer Tasse Tee.
»Hallo, Miiister Wagner.«
»Wie ging es hier heute?«
»Sie gehte gut. Gehte ganze gut.«
Lloyd drückte ihr ein Bündel zusammengerollte Geldscheine in die Hand. Die Frau wusch ihre Tasse kurz in der Spüle, nickte uns herzlich zu und stapfte zur Tür hinaus. Vor dem Haus hatte kein Auto gestanden, und die nächste Bushaltestelle war auch mehrere Blocks entfernt.
Als ich mich umsah, wurde mir klar, warum Lloyd den Detectives von meiner ersten Nachricht erzählt hatte. Wer so viele Sorgen hatte, brauchte nicht auch noch einen eventuell psychotischen Mörder zu Besuch.
»Entschuldige die Unordnung. Janice war ein Einzelkind, ihre Eltern sind beide schon tot. Wir kriegen also nicht besonders viel Hilfe.« Lloyd senkte den Kopf und machte eine Pause, als müsse er erst wieder zu Atem kommen. »Mach’s dir bequem. Ich bin gleich wieder da.«
Er ging Richtung Korridor, wo er einen Moment innehielt, als müsste er zuerst seinen ganzen Willen zusammennehmen. Am Ende des langen, dunklen Flurs sah man einen Streifen Licht unter einer Tür hindurchschimmern. Lloyd rückte sich den Rucksack auf der Schulter zurecht und ging auf diese Tür zu.
Nachdem ich eine Ecke auf dem Küchentisch freigeräumt hatte, packte ich das Essen aus. Der Lichtschein vom Flur verstärkte sich kurz, als die Tür am anderen Ende geöffnet wurde, und ich konnte das Gemurmel und das beruhigende Klappern der medizinischen Ausrüstung hören, bevor Lloyd die Tür wieder schloss und die Geräusche erstarben. Ich nahm ein paar Gläser von der Arbeitsplatte und füllte mir eins mit Wasser. Aus einer Tasse neben dem Spülmittelspender ragte eine Zahnbürste. Neben der Tür lag auf einem Haufen anderer Schuhe ein einzelner Birkenstock, in dem der Abdruck eines weiblichen Fußes zu sehen war, ein schlichtes Abbild, dessen Anblick mich völlig fertigmachte. Ich dachte an das zweite, unbenutzte Auto in der Garage. Wahrscheinlich brachte Lloyd es noch nicht übers Herz, es zu verkaufen.
Auf dem Boden neben dem Sofa standen mehrere Schälchen für Knabberzeug. Ich trug sie in die Küche, wusch sie ab und füllte in eines die Taco-Chips. Danach faltete ich die Decken auf der Couch zusammen, ordnete die Kissen und goss Lloyd einen Drink ein. Überall waren Bilder von Janice und ihm – sie hingen an den Wänden, waren mit Magneten an der Kühlschranktür befestigt, standen gerahmt auf Bücherregalen. Hochzeitsfotos mit einem linkischen Lloyd, der fast nur aus riesigen Ohren und blonder Lockenmähne bestand und sich an Janice’ Arm klammerte, als könne er immer noch nicht recht glauben, dass er sie gekriegt hatte. Janice lächelte aus einem limettengrünen Flitzer in die Kamera, und ihr zerzaustes Haar stand so hoch, dass es nicht mehr ganz aufs Bild gepasst hatte. Das übliche Foto zum fünfzehnjährigen Hochzeitstag, auf dem sie sich vor dem Eiffelturm umarmten. Janice hatte ich nie kennengelernt, aber ich bemerkte mit einer gewissen Traurigkeit, dass das neueste Foto von Lloyd mindestens fünf Jahre alt sein musste. Sie lag im Sterben, seit ich ihn kannte.
Ich machte den Fernseher aus, setzte mich in den Lesesessel und lauschte dem Knarren des Hauses. Dabei stellte ich mir Lloyds Doppelleben vor, zum einen in diesem Teil des Hauses, zum anderen im Schlafzimmer. Wie er wahrscheinlich lieber hier war, weil es sich hier leichter atmen ließ. Wie er wahrscheinlich Nacht um Nacht von diesem Teil des Hauses zu diesem Lichtstreifen unter ihrer Tür kroch.
Während ich in den finsteren Flur starrte, merkte ich, dass ich riesige Angst davor hatte zu erfahren, wie dieses
Weitere Kostenlose Bücher