Blade Runner Ubik Marsianischer Zeitsturz
drehte die Hi-Fi-Anlage lauter; es
war eine progressive Jazzband, Vibraphon und Kontrabass, vielleicht auch ein elektronisches Instrument. Die kesse blonde Phyllis setzte sich neben ihn aufs Sofa und musterte ihn eingehend. »Jack, bist du sauer auf uns? Ich meine, du bist so abwesend.«
»Das ist nur eine von seinen Launen«, sagte Notting. »Als wir gedient haben, war er auch immer so, besonders am Samstagabend. Mürrisch und schweigsam, ein Grübler. Worüber grübelst du jetzt gerade nach, Jack?«
Die Frage erschien ihm seltsam; er grübelte gar nicht, sein Kopf war leer. Das Streichholzbriefchen füllte noch immer sein ganzes Wahrnehmungsfeld aus. Dennoch war es unumgänglich, ihnen Rechenschaft darüber abzulegen, was ihn so sehr beschäftigte; sie alle erwarteten das, also dachte er sich folgsam ein Thema aus. »Die Luft«, sagte er. »Auf dem Mars. Wie lange werde ich wohl brauchen, um mich anzupassen? Das wechselt, je nach Person.« Ein Gähnen, das nie nach drauÃen fand, hatte sich in seiner Brust eingenistet und breitete sich langsam durch Lunge und Luftröhre aus. Sein Mund stand halb offen; mühsam schaffte er es, die Kiefer wieder zu schlieÃen. »Ich hau jetzt besser ab«, sagte er. »An der Matratze horchen.« Unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihm aufzustehen.
»Um neun Uhr schon?«, rief Fred Clarke.
Später, als er durch die kühlen dunklen StraÃen von Oakland zu seinem Apartment schlenderte, fühlte er sich prima. Er fragte sich, was bei den Nottings losgewesen war. Vielleicht schlechte Luft oder die Klimaanlage.
Aber etwas stimmte nicht.
Der Mars, dachte er. Er hatte die Fesseln abgestreift, seinen Job aufgegeben, seinen Plymouth verkauft und dem Funktionär, der sein Vermieter war, Bescheid gegeben. Dabei hatte er ein Jahr gebraucht, um das Apartment überhaupt zu bekommen;
das Gebäude war Eigentum der gemeinnützigen West-Coast-Genossenschaft, ein gewaltiger, teilweise unterirdischer Bau mit Tausenden von Einheiten, einem Supermarkt, Wäschereien, Kindertagesstätte, Krankenhaus, sogar einem eigenen Psychiater in den Ladengalerien tief unter der StraÃenebene. Im obersten Stockwerk befand sich eine FM-Rundfunkstation, die von den Bewohnern selbst ausgewählte klassische Musik sendete, und auf halber Höhe des Gebäudes gab es ein Theater und einen Versammlungsraum. Es war das neueste der riesigen Apartmenthäuser der Genossenschaft â und das hatte er alles aufgegeben, Knall auf Fall. Eines Tages hatte er im Buchladen des Gebäudes gestanden und in der Schlange gewartet, weil er ein Buch kaufen wollte, und da war ihm der Gedanke gekommen.
Nachdem er seinen Antrag gestellt hatte, war er durch die Flure der genossenschaftlichen Galerie gewandert. Als er zur Anschlagtafel mit den angehefteten Zetteln kam, war er unwillkürlich stehengeblieben, um sie zu lesen. Kinder waren an ihm vorbeigeflitzt, unterwegs zum Spielplatz hinter dem Gebäude. Ein Zettel mit groÃen Druckbuchstaben hatte seine Aufmerksamkeit erregt:
HELFEN SIE, DIE GENOSSENSCHAFTLICHE BEWEGUNG IN NEU KOLONISIERTE GEGENDEN ZU TRAGEN. ALS ANTWORT AUF DIE AUSBEUTUNG MINERALREICHER GEBIETE AUF DEM MARS DURCH DIE GROSSVERBÃNDE FÃR HANDEL UND ARBEIT BIETET DIE GENOSSENSCHAFTSLEITUNG IN SACRA-MENTO GELEGENHEIT ZUR AUSWANDERUNG. MELDEN SIE SICH JETZT!
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Das las sich fast so wie alle genossenschaftlichen Mitteilungen, und doch â warum nicht? Viele junge Menschen meldeten sich. Und was hatte er auf der Erde noch zu suchen? Er
hatte zwar sein Apartment aufgegeben, war aber nach wie vor Mitglied der Genossenschaft; er hatte immer noch seine Anteilsscheine und seine Nummer.
Später, als er sich verpflichtet hatte und das Prozedere von Untersuchungen und Impfungen durchlief, war er mit der Reihenfolge durcheinandergeraten; seiner Erinnerung nach war der Entschluss, zum Mars zu gehen, zuerst dagewesen, und er hatte anschlieÃend seinen Job und das Apartment aufgegeben. So herum erschien es ihm einleuchtender, und diese Geschichte erzählte er auch seinen Freunden. Aber es war einfach nicht wahr. Was war wahr? Fast zwei Monate lang war er verwirrt und verzweifelt umhergelaufen, sich über nichts im Klaren auÃer der einen Sache, dass am 14. November seine Gruppe, zweihundert Mitglieder der Genossenschaft, zum Mars aufbrächen und sich dann alles änderte; die Verwirrung würde sich legen, und er
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