Blanche - Die Versuchung
das alles?“ Er stand auf und ging zum Kamin. Eine Zeit lang blickte er in die Flammen, beide Hände in den Taschen seiner Anzughose vergraben. „Für eine Handvoll Kinder . “ Er dre h te sich zu ihr. „Und dich.“ Langsam kam er auf sie zu, und beugte sich zu ihr herab. „Was zum Teufel ist hier los?“
Blanche öffnete den Mund, doch Enzo zog eine Hand aus der Tasche und drohte ihr mit ausgestrecktem Zeigefinger, als wäre sie ein unartiges Kind.
„Wage es nicht , mir eine deiner Ausflüchte aufzutischen, für mich steht zu viel auf dem Spiel.“
Obwohl er leise sprach , entging ihr die Drohung nicht. Die Verluste der letzten Wochen mussten enorm sein, das war ihr klar. Auf der anderen Seite war er bestens versichert, hier ging es also nicht um den materiellen Schaden. Vielmehr stand seine Führungsrolle auf dem Spiel. Wenn er die Sauerei in seinen Bezirken nicht bald unter Kontrolle bekam, würden die Petersburger einspringen. Im Geiste sah sie Sergej, wie er sich die Hände rieb. Enzos Schwierigkeiten stärkten ihn und seinen Anspruch auf die Vormachtstellung der Russen in Paris. Egal was sie von Enzo hielt, das Letzte , das sie wollte , war die Legalisierung der Kinderprostitution. Legal zumindest , was die U n terwelt anging. Blanche erhob sich und sah zu Beliar, der ihren Blick ruhig erwiderte.
„Also schön“, sagte sie und nickte ihm zu. „Kannst du dich ihm zeigen – das würde die Sache abkürzen.“ Als er nicht reagierte , ergänzte sie: „Er weiß ohnehin, dass es Dämonen gibt und es würde mir eine Menge Zeit für Erkl ä rungen sparen, die er mir am Ende vermutlich nicht abkauft.“
Enzo war dem Monolog mit gerunzelter Stirn gefolgt. Als die Luft hinter Blanche flimmerte , trat er fluchend einen Schritt zurück. Kurz darauf stand der Erzdämon in voller Größe vor ihm und sah auf ihn herab.
„Santa Maria Madre di Dio!“
„Nicht ganz“, bemerkte Blanche. „Das ist Beliar, und er kann dir wah r scheinlich mehr über Arziel sagen als ich.“
Enzos Gesichtsfarbe wechselte von rot zu grau. Wie i n Zeitlupe ließ er sich in den Sessel sinken, auf dem sie selbst eben noch gesessen hatte. Dabei starrte er Beliar an, während er ununterbrochen Verwünschungen ausstieß. Aber er rannte weder davon noch rief er nach seinen Männern.
Nachdem sie erfahren hatte , was Beliar war, hatte sie ihre Heckler gezogen und ihn durchsiebt. Oder es zumindest versucht. Jetzt war Beliar an der Re i he , sich drohend über Enzo aufzubauen.
„Wie hast du den Großfürsten zurück in die Unterwelt geschickt?“ Seine tiefe Stimme klang melodisch, beinahe hypnotisch.
Enzos Hand glitt abermals in die Tasche seiner Anzughose, und seine Fi n ger umschlossen einen Gegenstand. Hatte er doch eine Waffe bei sich? Als er die Hand wi e der herauszog und ein ovaler Anhänger der M a donna von Lourdes zum Vorschein kam, unterdrückte sie ein Lächeln. Wer Enzo unte r schätzte , machte einen tödlichen Fehler, so viel war sicher.
Er wirkte nun gefasster, als würde ihn die Tatsache, dass er bereits einen von Saetans Dienern erledigt hatte, vor Beliar schützen. Blanche musste zugeben, dass ihr Dämon in diesem Moment tatsächlich zum Fürchten au s sah. Nicht wie vorhin in der Suite. Das hier war die Dämonen-Show, die er für Sterbliche draufhatte, damit sie aufhörten , sich die Augen zu reiben und ihn infrage zu stellen. Menschen langweilten Beliar, und er hatte keine Lust , sich von ihnen mehr Zeit als unbedingt notwendig stehlen zu lassen. Darum kam er meist gleich zur Sache. In diesem Punkt ähnelten sie sich. Blanche zog es ebenfalls vor, ihre Opfer durch einen Blattschuss zur Strecke zu bri n gen. Kurz und schmerzlos. Obwohl Letzteres eine Vermutung war.
Beliar wirkte größer als üblich, als würde er wachsen, während sich der Raum mit Dunkelheit füllte, bis es unmöglich war, die Augen von ihm zu wenden. Blanches Haut prickelte von dem ansteigenden Ozongehalt, und sie wusste, dass Beliars Augen in diesem Augenblick ein schiefergraues Meer kurz vor dem Sturm spiegelten. Das rabenschwarze Haar wehte in einer unnatürlichen Brise, die Narben traten stärker hervor. Gruselig.
Woher Enzo den Mut für seine nächsten Worte nahm , wusste sie nicht. Wahrscheinlich war er es gewohnt, mit schwierigen Situationen umzugehen, ohne die Kontrolle zu verlieren. Und das Wissen, dass selbst Dämonen nicht unverwundbar waren, schien ihn zu stärken. Seine Finger schlossen sich um das Medaillon und bildeten eine
Weitere Kostenlose Bücher