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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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abrupt und ziemlich laut.
    »Mr Patston«, sagte Slattery.
    »Nein«, sagte Tony. »Wir brauchen nicht alleine zu reden.«
    Er war immer stolz darauf gewesen, eine goldene Gelegenheit zu erkennen, wenn er sie vor der Nase hatte, und wie die Dinge lagen, war dies möglicherweise für lange Zeit die letzte, die er hatte. Gott möge ihm verzeihen, aber Joanne konnte ja nicht noch mehr verletzt werden …
    »Ich wollte nie etwas sagen«, erklärte er mit gespieltem Widerwillen. »Und ich würde es auch jetzt nicht erzählen, aber …«
    »Ja, Mr Patston?«, fragte Keenan.
    Tony spürte, wie alle ihn ansahen. Er schwitzte wieder, und sein Kopf begann zu schmerzen.
    »Es war Joanne«, sagte er, »die Irina geschlagen hat.«
    Im Raum breitete sich tiefe Stille aus. Keenan warf Reed einen Seitenblick zu, und Slattery, der sich der beinahe greifbaren Abscheu so schmerzhaft bewusst wurde, als hätte man ihm einen Schlag versetzt, starrte auf seine Hände.
    »Das ist nicht der Eindruck, den wir gewonnen haben«, sagte Reed nach einigen Sekunden. »Es heißt, dass Ihre Frau sogar bemüht war, Irina am Weinen zu hindern, weil Sie das nicht mochten .« Er dehnte das Wort, als verströme es einen üblen Geruch.
    »Das wollte sie die Leute glauben machen. Vielleicht wollte sie es sogar selbst glauben, weil sie Angst vor der Wahrheit hatte.«
    »Wie sah die Wahrheit denn aus?«, fragte Keenan leise.
    »Dass sie nicht so gut mit Irina zurechtkam, wie sie behauptete«, antwortete Tony. »Dass sie nach allem, was wir durchgemacht hatten, um Irina zu adoptieren, doch keine so gute Mutter war.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Keenan. »War es Joanne, die wütend wurde, wenn Irina weinte?«
    »Ja.«
    »Und doch gab Joanne sich alle Mühe, ihre Tochter so oft wie möglich bei sich zu haben«, sagte Keenan.
    »Ich sage ja nicht, dass sie Irina nicht geliebt hat«, sagte Tony. »Sie kam nur nicht gut mit ihr zurecht. Sie wusste, wie wütend ich wurde, wenn sie das Mädchen schlug. Sie haben keine Ahnung, wie schwer es mir fällt, das jetzt zu sagen, wo die arme Joanne …« Er schüttelte den Kopf, merkte, wie ihm Tränen in die Augen traten, und war nicht sicher, ob sein Stolz oder seine Scham über diese Vorstellung überwog. Aber die Vorstellung war gut, daran konnte kein Zweifel herrschen, und vor allem war sie notwendig.
    »Lassen Sie sich Zeit, Mr Patston«, sagte Keenan.
    »Eigentlich wollte ich es für immer für mich behalten«, sagte Tony. »Ich wollte ihr helfen, darüber hinwegzukommen, wissen Sie? Und es wäre mir lieber gewesen, wenn Sandra nichts davon erfahren müsste, denn es würde sie um den Verstand bringen. Aber Joanne war manchmal völlig unberechenbar – besonders, wenn sie ihre Tage bekam. Davon habe ich Ihnen ja erzählt.«
    »Aber Sie sagten, Ihre Frau habe nicht so sehr darunter gelitten.« Keenan blickte auf seine Notizen. »Um genau zu sein … Sie sagten, Joanne habe Ihnen an diesem letzten Morgen erzählt, sie habe prämenstruelle Syndrome. Ich fragte Sie, ob Sie sehr darunter litt, und Sie sagten: ›Joanne war nicht so schlimm‹.« Keenan lächelte. »Was denn nun, Mr Patston?«
    Ein unbehagliches Kribbeln durchlief Tony. »Es war schlimm«, sagte er im Tonfall einer Beichte. »Ich wollte nur nicht, dass Sie es wissen.« Sein Selbstvertrauen kehrte zurück. »Wegen dem, was ich Ihnen gesagt habe. Ich wollte nicht, dass jemand schlecht von ihr denkt.«
    »Sehr löblich von Ihnen«, sagte Keenan.
    Reed lehnte sich vor. »Sie sagten, Joanne wusste, wie wütend Sie wurden, wenn sie Irina schlug.« Der Blick seiner wachsamen Augen war jetzt besonders scharf.
    »Natürlich wusste sie es«, sagte Tony. »Es ging mir durch Mark und Bein, wenn Irina weinte, weil ich wusste, was passieren würde. Mir wurde ganz übel davon.«
    »Haben Sie versucht, Ihre Frau aufzuhalten?«, fragte Reed.
    »Natürlich«, sagte Tony.
    Wieder trat Stille ein.
    »Ist das auch an jenem Tag passiert?«, fragte Keenan.
    »Wie bitte?«, fragte Tony, der nicht verstand.
    »An diesem letzten Morgen«, sagte Keenan. »Bevor Joanne das Haus verließ. Mussten Sie sie davon abhalten, Irina zu schlagen?«
    »Nein.« Sein Selbstvertrauen schwand so schnell wie Wasser in einem Ausguss. »Nein, nicht an diesem Morgen.«
    »War es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte?«, fragte Keenan. »War das der Moment, als sie wussten, dass Sie Joanne töten mussten, Tony?«
    Plötzlich und mit übelkeiterregender Klarheit erkannte Tony,

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