Blankes Entsetzen
»Ich weiß allerdings nicht, ob sie mit allem hätte umgehen können, was eine solche Verfügung mit sich bringt.« Allbeury schwieg kurz. »Darüber hinaus richten sich gewalttätige Männer, wie Sie wissen, nicht immer nach richterlichen Anweisungen.«
»Warum hat sie ihn nicht angezeigt?«, fragte Keenan.
»Angst«, antwortete Allbeury nur.
»Auf welchem Weg haben Sie von Joanne Patston erfahren?«, fragte Helen. »Wieder ein anonymer Tipp?«
»Ja«, antwortete Allbeury. »Diesmal allerdings kein Brief.« Er blickte Keenan direkt in die Augen, als er die kleine Lüge aussprach. »Ein Anruf.«
»Nicht zurückzuverfolgen, nehme ich an«, sagte Helen.
»Ich habe nicht versucht, die Quelle des Anrufs zu finden«, sagte Allbeury. »Ich war mehr an seinem Inhalt interessiert.«
»An Joanne Patston«, sagte Keenan.
»Und der Gefahr für ihre Tochter«, sagte Allbeury.
»Warum haben Sie diese Gefahr nicht der Polizei gemeldet?«, fragte Helen.
»Ich wollte Mrs Patston das Gefühl geben, mir vertrauen zu können«, antwortete er. »Den Sozialdienst oder die Polizei anzurufen hätte ihr Leben und das des Kindes möglicherweise noch schwerer gemacht.«
»Und, hat sie Ihnen vertraut?«, fragte Keenan.
»Sie gelangte an den Punkt, an dem sie der Meinung war, sie könnte es.«
»Trotzdem haben Sie Mrs Patston nie wieder gesehen?«, fragte Helen.
»Nein.«
»Haben Sie sie noch einmal gesprochen?«, fragte Keenan.
»Nach unserem Treffen in der Bibliothek nicht mehr«, sagte Allbeury.
»Was ist mit Michael Novak?«, fragte Helen.
»Ich glaube, er hat danach noch zweimal mit ihr geredet«, antwortete Allbeury.
»Worüber?« Wieder Keenan.
»Mrs Patston versuchte, zu einer Entscheidung zu kommen«, sagte der Anwalt.
»Was für eine Entscheidung?«, fragte Helen.
»Ob ich ihr helfen soll, ihrer Ehe zu entfliehen.«
»Sie haben uns immer noch nicht gesagt«, sagte Keenan, »welche Art von Ausweg Sie ihr vorschlugen, Mr Allbeury.«
»Ich wartete noch auf ihre Antwort.«
»Sie müssen doch eine Vorstellung gehabt haben«, sagte Helen.
»Natürlich«, räumte Allbeury ein.
»Und zwar?«, drängte Keenan.
Allbeury schwieg einen Moment lang. »Wenn Mrs Patston mir gesagt hätte, dass sie gehen wollte«, sagte er schließlich, »hätte ich versucht, dafür zu sorgen, dass sie an einen Ort kann, an dem sie sich sicher gefühlt hätte.«
»Dauerhaft?«, fragte Keenan.
»Ja«, antwortete Allbeury. »Nichts anderes hätte ihr das Gefühl von Sicherheit geben können.«
»Aber Sie warteten noch auf ihre endgültige Antwort?«, fragte Keenan.
»Bis Mike Novak mir erzählte, dass sie tot sei«, sagte Allbeury.
Er führte die beiden Polizisten in sein blaues Arbeitszimmer und bot ihnen an, ihm über die Schulter zu schauen, während er seinen Terminkalender auf dem Monitor erscheinen ließ und bis zum 20. Februar zurückscrollte, dem Tag von Lynne Bolsovers Verschwinden und Tod.
»Wenn nötig«, sagte Allbeury, »lassen sich die beiden Morgentermine überprüfen.«
»Der am Nachmittag nicht?«, fragte Helen, die zu seiner Linken stand.
»Da war ich bei einem Mandanten, der Vertraulichkeit wünscht und sich im Augenblick in Übersee aufhält.« Er sah zu ihr auf. »Der letzte Stand war, dass John Bolsover wegen des Mordes an seiner Frau in Belmarsh einsitzt und auf den Beginn des Prozesses wartet.«
»So ist es«, sagte sie.
Allbeury wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Terminkalender zu, scrollte acht Monate weiter zum Oktober und sah dann zu Keenan auf, der rechts von seinem Stuhl stand.
»Montag«, sagte Keenan. »Der Siebte.«
»Im Büro.« Allbeury lehnte sich zurück, damit sie den Eintrag sehen konnten. »Allbeury, Lerman und Wren in Bedford Row.« Er blickte wieder Keenan an. »Wenn Sie das überprüfen, Inspector, würde ich Diskretion sehr zu schätzen wissen.«
»Das versteht sich von selbst, Sir«, sagte Keenan.
»Wo haben Sie sich den Tag über aufgehalten?«, fragte Helen.
Allbeury drehte sich mit einem leisen Lächeln zu ihr um. »Ich hatte am Montag eine Menge zu tun. Einer der Junganwälte holte mir ein Sandwich – ich weiß nicht woher, aber es war mit dick geschnittenem Schinken belegt und sehr lecker.«
»Sie wirken recht unbeschwert«, sagte Helen, »wenn man bedenkt, wie bestürzt Sie wegen der Morde zu sein behaupten.«
»Verzeihen Sie mir«, sagte Allbeury. »Wahrscheinlich bin ich es einfach nicht gewöhnt, nach Alibis gefragt zu werden, Inspector.«
»Sie haben uns sehr
Weitere Kostenlose Bücher