Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
fragte, er fand es bestätigt. Köpfte am Tag sieben zwar sehr heimlich ein vertrautes Licher, pustelte jedoch und gab sich drein. In der Folge verengte sich, wie weiland seine Luftröhre, seine Weltwahrnehmung: Was G. sah und registrierte, war vorwiegend Bier, das er nicht haben durfte. Nicht haben und nicht nehmen. »Jawohl, Bier«, faselte er an einem kühlen Frühstücksmorgen schrill in sich hinein, »will genommen werden, vor allem«, wehte es ihn ungewohnt deutlich aus der Bahn, »von hinten« – fasste sich dann wieder, ging zum Fenster, hinter dem ein leichter Regen niedernieselte, steckte beide Hände in die Hosentaschen und ward still.
Zwei volle Kästen, fiel aber G. umgehend und in dieser Stunde zum ungefähr neunzehnten Male ein, standen vorläufig noch in seiner Abstellkammer und kosteten ja nicht zuletzt Miete. Fraßen einen Viertelquadratmeter Wohnkapazität! Drei Euro zwanzig monatlich, überschlug G. sehr erschrocken, das waren über achtunddreißig Euro im Jahr oder zwei neue Kästen. »Die ich Arsch ja wiederum nicht trinken könnte«, verhedderte er sich weiter, wechselte von der Küche ins Wohnzimmer, um dort zu erwägen, ob und inwieweit so ein Glas Bier sich eigentlich ausstopfen ließ. Jawohl, er würde ein liebevoll Gezapftes ausstopfen und als Signum, als Trophäe besserer Zeiten in der Schrankwand deponieren. Als utopischmagisch aufgeladenes voodoo project. Auf dass er eines Tages wieder zischen dürfe.
Eine Heirat, dachte G. dann etwa eine Woche lang, wäre jetzt und hier von Vorteil; oder ein neues Auto. Mit einem blaumetallic Opel-Sierra-Jahreswagen mit ABS und Flankenaufprallschutz wäre letztlich auch die Dienstagskneipenrunde eine Zeitlang stillzustellen, ihre Spottlust zu entkräften!
»Susi Fräulein, eine milde Weißweinschorle für den guten G.«, hieß es freilich schon am selben Abend.
»Pils«, krähte schneidend und in gewohnter Schärfe Altkommunist Schmidt, »ist ihm bis auf weiteres verboten. Bis zur Ankunft neuer Direktiven untersagt!«
»Er hat«, griff wider G.s Erwarten gar der neu hinzugestoßene Gewerkschaftsdoktorand Conrad-Roth den Faden auf, »nämlich Bierallergie, der Schlappschwanz!«
Täuschte G. sich nicht, brach an dieser Stelle eine Art Zwinkern zwischen Susi und dem blass wirkenden Gewerkschaftsschreiber los; sie war, erinnerte er sich schnell, halt kaum die Hellste, wenn auch durchaus lockend und, schwante ihm da plötzlich was, dem kompletten Dienstagstisch samt Neuling schon zu Willen gewesen! Mit Ausnahme gewiss nur seiner, G.s.
»Herr Conrad-Roth, das eine«, replizierte G. lauthals und brachte es, da ein schlimmer Fehler ihm schon hier aufging, flüsternd zu Ende, »hat mit dem anderen rein nichts zu tun« – hängte sich aber rechtzeitig ans allgemeine Prusten. In das auch ’s dumme Fräulein Susi wackelnd fiel.
Leichtperlend
bernsteinbraune
Puffmutter
guter Laune
Neuerdings, ein rundes Sechsteljahr nach seiner Entlassung aus der Klinik, ertappte sich G. recht häufig beim Abfassen von, wie er in wackeren Momenten formulierte, »schwerstbekloppter Bierlyrik«; sie zu stoppen fehlten ihm aber Kraft und Mut. Öfter geschah’s nun auch, dass G. ein Gläschen der verhassten Weißweinschorle schon zum Frühstück trank und den Vormittag in wütendster Umnebelung verlebte; Kaffee schmeckte ihm, sprach er im Nachhinein verwundert, im Gegensatz zum Weißwein doch sehr gut! Gewiss, es waren Übersprungshandlungen, die aber dann für einen halben Monat zur fast täglichen Routine wurden und G. umso mehr erstaunten, als er in besseren Zeiten sein Quantum Bier stets abends eingenommen hatte: als süßeste Belohnung eines abstinenten Tages. Erst als G., an einem Mittwoch war es, zum Frühstückstoast zwei Flaschen Sprudel nebst einem kompletten Riesling-Liter leergezogen hatte und für gut zwölf Stunden ausfiel, verschwand dieser Charakterzug so überraschend, wie er erschienen war. G. atmete auf.
bier statt
das wär fein
wein
hieß dann wiederum sein Beitrag zum vierten Adventssonntag, der aber zum größten Teil mit seltsam lustbesetzten Auswanderungsgedanken gefüllt war. Ja, G. schien es höchste Zeit, dem in sein Leben bombengleich geplatzten Radikalbruch kraft eines gleichschwer radikalen Umzugs den verdienten Ehrtribut zu zollen: Eine »völlig neue Existenz« würde er anno 2010 starten! Den Mai noch mitnehmen, und dann raus aus Europa. Raus aus der Nordhalbkugel. Grob überschlug G. seine liquiden wie mobilen Kapitalien, kam
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