Blaue Rosen
College und dank
seiner reichen Eltern brauchten sie sich keine Sorgen um die Miete
ihres kleinen Hauses oder die Autoversicherung machen. Sie waren gut
versorgt, und wenn Frank in einem Jahr den College-Abschluss in der
Tasche hatte, würde er im Immobilienbüro seines Vaters
mitarbeiten.
Delilah wusste, dass sie nicht arbeiten gehen brauchte,
doch sie wollte es gerne. Sie hatte schon immer unterrichten wollen
und wollte Amerikanische Literatur und Geschichte studieren. Später
vielleicht auch noch Weltliteratur.
Doch sie wäre erst
einmal froh, wenn sie die zwei Kurse und Rose unter einen Hut bekam.
Ihre Mom freute sich über ihr Vorhaben und stellte
sich gerne tagsüber als Babysitter für Rose zur Verfügung.
Sie liebte ihr Enkelkind über alles. Doch Delilah hatte öfter
als einmal wahrgenommen, wie sie Rose angesehen hatte. Sie kannte die
Wahrheit. Delilah dachte manchmal, dass jeder sie kennen müsste,
der Ricky gekannt hatte, denn seine Tochter sah ihm verblüffend
ähnlich. Selbst Delilah sah sie nicht so ähnlich wie ihm.
Vom folgenden Sommer an begab Delilah sich jeden Tag zum
College, um etwas zu lernen, über Bücher, Schriftsteller,
Länder und Kulturen. Sie hatte die letzten dreieinhalb Jahre, in
denen Frank und Andrea fleißig studiert hatten, im Haus, im
Supermarkt und auf Spielplätzen verbracht. Nun durfte sie wieder
unter Menschen, und endlich durfte auch sie ihr Wissen erweitern –
und sie nahm jedes neue Wort begierig in sich auf.
♥
Sie dachte noch immer jeden Tag, in jeder Stunde an
Ricky. Sie bedauerte zutiefst, dass ihm das alles verwehrt sein
sollte. Er hätte es im Leben so weit bringen können. Doch
er war gegangen. Und Delilah war noch da. Sie hatte inzwischen
eingesehen, dass es keinen Sinn machte, sich hängen zu lassen.
Ricky hätte das nicht gewollt. Es gab so vieles, das das Leben
lebenswert machte, wie Rose, ihre wundervollen Eltern, und die
Erinnerung an Ricky und die gemeinsame Zeit mit ihm.
Und Frank.
Sie hatte in ihm einen wundervollen Freund gefunden. Er war gut zu
Rose, behandelte sie, als wäre sie sein eigenes Kind, doch
Delilah würde nie dasselbe für ihn fühlen wie für
Ricky. Trotzdem war sie dankbar, dass es ihn gab. Er hatte sie aus
einer schweren Zeit heraus begleitet. Und er war für sie da. Er
hatte auch keine Einwände, als sie ihm von ihren Plänen, zu
studieren, erzählte. Und so verbrachte sie die nächsten
vier Jahre damit, die literarische Welt zu erkunden.
♥
Schwanger wurde sie nicht wieder und sie dachte
sich, dass es an Frank liegen musste. Mit Ricky war es so schnell und
unerwartet passiert, und mit Frank versuchte sie es nun schon acht
Jahre lang. Doch vielleicht sollte es so sein. Ändern konnte sie
es nicht. Und das gab ihr wenigstens die Zeit, an der Junior High
School als Lehrerin zu arbeiten.
Rose ging außerdem bereits in die Schule. Sie
wurde mit jedem Jahr größer, klüger und umwerfender.
Wie damals Ricky, nahm sie jeden in ihren Bann. Niemand konnte sich
ihren blauen Augen entziehen. Und jedes Mal, wenn Delilah ihre
Tochter ansah, sah sie Ricky. Sie war unendlich dankbar, dass er sie
ihr hinterlassen hatte, dass Gott ihr dieses Geschenk gemacht hatte.
Sie wusste nicht, was sie ohne Rose getan hätte. Sie war ihr
Lebenselixier.
Zusammen sahen sie sich, als Rose dreizehn Jahre alt
war, die Mondlandung im Fernsehen an und betrachteten stolz, wie Neil
Armstrong, einer ihrer Landsmänner, den ersten Schritt darauf
machte.
♥
Als Rose siebzehn war, erinnerte sie Delilah so sehr
an sich selbst und ihre Tage mit Ricky, dass es kaum zu ertragen war.
Doch Rose war ganz anders. Sie war weder so rebellisch wie Ricky noch
so ungestüm wie Delilah es in ihrem Alter gewesen war. Rose
wusste genau, was sie wollte.
Sie war keines dieser Hippie-Mädchen, die nur Sex &
Drugs & Rock`n`Roll im Kopf hatten. Rose wollte, sobald sie den
High School Abschluss gemacht hatte, Entwicklungshelferin in Indien
werden. Sie war schwer beeindruckt von Indira Gandhi und war schon
jetzt politisch sehr engagiert. Während andere Kids sich
zudröhnten, organisierte Rose Demonstrationen gegen den
Vietnamkrieg.
Delilah hätte sich nicht gewundert, wenn ihre
Tochter eines Tages die erste Präsidentin der Vereinigten
Staaten geworden wäre.
♥
Eines Tages saß Delilah am Fenster in ihrem
Schlafzimmer. Sie hatte die Fotos von sich und Ricky, die sie damals
in diesem alten Automaten gemacht hatten, aus dem Buch geholt, in dem
sie sie zusammen mit der blauen Rose
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