Blaue Wunder
so viel wert wie ein Heiratsantrag. Okay, einfach nur ein «Martin» als Verabschiedung, das klang womöglich ein kleines bisschen nüchtern. Aber ich denke, dass er an dieser Stelle einfach noch nicht zu weit gehen und sich nicht allzu verletzbar machen wollte.
Selbstverständlich hatte ich noch nicht geantwortet.
Martins SMS war um 17.12 Uhr eingegangen, also in etwa als ich beschlossen hatte, meine Stripeinlage zu beenden. Ich wollte mich zunächst mit Erdal besprechen, Petras abschließendes Urteil abwarten und dann in keinem Fall vor morgen Mittag antworten. So würde er den Eindruck gewinnen, dass ich am Freitagabend nicht zu Hause hockte, um auf eingehende Kurznachrichten von Martin Gülpen zu warten.
Ich fühlte mich mächtig, begehrt, erotisch, total Herrin der Situation. Und wahnsinnig glücklich. Um diesen besonderen Anlass würdig zu begehen, öffnete ich eine Flasche Prosecco und stieß mehrfach mit mir selbst an. Auf einmal verstand ich nicht mehr, wie ich jemals annehmen konnte, die Sache mit Martin sei endgültig vorbei. Und vor allem verstand ich nicht mehr, wie ich diese Tage ohne Hoffnung überhaupt hatte überleben können.
Petras Mail war dann nicht ganz so enthusiastisch formuliert, wie ich erwartet hatte. Dieser Aufenthalt in Goa verleitete sie anscheinend dazu, ständig das zu sagen, was sie denkt, ohne Rücksicht auf Verluste.
«Liebe Elli! Das freut mich für dich, ehrlich! Aber trotzdem würde ich mir an deiner Stelle nicht allzu große Hoffnungen machen. Ich finde, Martins Nachricht klingt ziemlich reserviert und auch ein bisschen überheblich. Dass er dir gleich schon Tag, Uhrzeit und Ort nennt, finde ich komisch. Glaubt der, du hättest immer für ihn Zeit? (Womit er ja leider auch noch richtig liegt.) Der Satz klingt auch nicht gerade so, als würde er von Herzen kommen. Aber vielleicht täusche ich mich. Ich wünsch dir viel Glück. Ach ja, und noch was: Du solltest seine Nachricht nicht sofort beantworten. Lass ihn ruhig bis morgen Mittag warten. Sei umarmt! Petra.»
Meine Stimmung verfinsterte sich schlagartig. Aber zum Glück kam Erdal nach ein paar Minuten hereingestürmt und ließ sich Martins SMS und Petras Mail zeigen.
«Lass dich nicht verunsichern, Elli, vielleicht hat deine Freundin Recht, und du bist drauf und dran, dich von Martin ein zweites Mal verletzen zu lassen. Das Gute aber ist doch, dass Martin sich überhaupt gemeldet hat. Das Spiel geht weiter, und du hast wieder alle Chancen. Also weg mit den trüben Gedanken. Lass uns lieber überlegen, welche Schuhe du am Dienstag trägst, denn es ist eine große Herausforderung für eine Frau, bei einem Elbspaziergang attraktiv auszusehen und dennoch in der Lage zu sein zu gehen.»
Ich zähle beim Kauen bis zwanzig und starre deprimiert auf den Stapel trockene Brötchenscheiben auf meinem Teller und den Stapel Bücher, den Erdal mir zum Durcharbeiten dagelassen hat. «Das Wichtigste habe ich unterstrichen», hatte er gesagt, bevor er sich zum Walking mit Maurice verabschiedete. Joggen belaste seine hochempfindlichen Kniegelenke zu sehr, hatte Erdal herausgefunden. Seither schlich er einmal die Woche im Schneckentempo um die Alster und legte meist auf halber Strecke noch eine halbstündige Rast in einem Cafe ein. Heute wollte er es besonders vorsichtig angehen lassen, weil er sich durch die Milch-Semmel-Fastenkur, die wir heute Morgen begonnen hatten, zusätzlich geschwächt fühlte.
«Du darfst nicht vergessen», hatte er beim Frühstück gesagt, «ganz viel zu trinken und den Speisebrei mit Milch runterzuschlucken. Nur so kann es gelingen, die Schlacke aus deinen Darmwindungen herauszuspülen. Du musst dir deinen Körper vorstellen wie ein uraltes Klo, das endlich mal so richtig durchgeputzt wird. Kannst dir ja denken, was da so alles zum Vorschein kommen kann. Also ich sach mal: Tschöchen und Kampf dem Kot!»
Mir wurde ganz schwummerig bei der Vorstellung, ich sei eine Toilette. Andererseits musste ich bei WC natürlich auch sofort an Martin und unsere Verabredung denken. Ich hatte zwei Tage Zeit, um entschlackt und eine Kanone im Bett zu werden. Ich greife mir das oberste Buch und vertiefe mich ganz in die Lektüre.
Ich muss sagen, dass ich mich selbst nie als besonders prüde empfunden habe. Ich rede eigentlich sogar recht gerne über Sex, vermeide dabei jedoch immer, die Dinge beim Namen zu nennen. Ich benutze gerne so unverfängliche Wendungen wie «Ist er, körpermittig
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