Blaue Wunder
betrachtet, gut gebaut?» oder «Ist es im Verlauf des Abends zum Äußersten gekommen?».
In diesen Büchern hier wird allerdings kein Blatt vor den Mund genommen, und ich habe das Gefühl, schon beim Durchblättern klatschmohnrot zu werden. Mit Erdals Unterstreichungen kann ich naturgemäß nicht allzu viel anfangen. Das bemerke ich schnell, als ich «Das Buch vom Sex» aufschlage und auf folgende rot markierte Stelle stoße: «Wie der Penis exakt vermessen wird». Es folgt eine genaue Anleitung, die mit Punkt fünf abschließt: «Säubern Sie das Lineal.»
Ich frage mich wirklich, ob es Erdal nicht mörderisch peinlich war, diese ganzen Bücher zu kaufen. Ich würde mich in Grund und Boden schämen, wenn mir die Verkäuferin an der Kasse eine blickdichte Tüte und den Kassenbeleg reichen würde mit den Worten: «Längere Buchtitel wie werden aber nicht komplett ausgedruckt.»
Wobei - so wie ich Erdal kenne, hat er wahrscheinlich alle vorhandenen Verkäuferinnen in seine Entscheidungsfindung mit einbezogen, lebhaft mit ihnen die Vor- und Nachteile des Werkes «Die perfekte Liebhaberin» diskutiert und jede einzelne befragt, ob sie denn nach der Lektüre tatsächlich in der Lage war, den «Penis-Samba» korrekt auszuführen, virtuos «auf dem Vorhautbändchen zu klimpern» und zusätzlich noch «eine halbe Pirouette am Schaft» zu drehen.
Erdal ist, was alles Sexuelle angeht, beschämend schamlos und hat mir schon manches Mal bereits beim Frühstück Unterhaltungen aufgenötigt, die ich sonst nicht einmal in volltrunkenem Zustand führen würde. Ich weiß noch gut, wie er mir ungefragt auf leeren Magen von seinem ersten und einzigen Sexualkontakt mit einer Frau erzählt hat:
«Du, Elli, ich sag dir, das war, als würde man versuchen, Büffelmozzarella in ein Schlüsselloch zu stopfen.»
Dann hatte er mir noch seine Meinung über Hoden kundgetan, die nämlich beim Liebesspiel gerne mal vernachlässigt und behandelt würden wie Cousins vom Land, die überraschend zu Besuch gekommen sind.
Und ein ganz, ganz wichtiges Thema für Erdal, das er auch oft beim Essen anschneidet, ist natürlich die Intimrasur. Eigentlich immer, wenn ihm langweilig ist, rasiert Erdal an sich herum. Gerne auch mal die Arme, den Bauch, die Zehen. Als Halbtürke ist er ja recht üppig behaart, sodass es an irgendeiner Stelle seines Körpers eigentlich immer was zu tun gibt. Letzte Woche, das weiß ich noch, da war ihm irgendwann so derartig langweilig gewesen, dass er sich komplett rasiert hatte. Alles weg, ratzeputz, von oben bis unten. Abgesehen von seinen Kopfhaaren, die ihm heilig sind und die er hingebungsvoll mit täglichen Spülungen und wöchentlichen Packungen pflegt.
Und was hatte ihm die Aktion gebracht? Die nachwachsenden Haare zwickten ihn derartig, dass er mir beim Frühstück ruckelnd gegenübersaß und mit seinem Gesäß über den Stuhl schubberte wie ein Hund mit Hämorrhoiden. Das war fies und hatte selbst mir den Appetit verdorben.
Ich muss zugeben, dass mich die Lektüre der Sexratgeber doch einigermaßen verunsichert. Bisher hatte ich naiverweise angenommen, keine Probleme in diesem Bereich zu haben. Nun aber fange ich doch an, mich zu schämen, dass ich noch nie einen Brustorgasmus hatte, und ich frage mich, ob ich die Einzige bin, die noch nicht mal was gehört hat von einem Muttermund-, geschweige denn von einem Harnröhrenorgasmus. Auch bin ich bisher noch gar nicht auf die Idee gekommen, mich beim Sex als Bauarbeiterin zu verkleiden und einen Schutzhelm zu tragen, um die Phantasie des Liebespartners anzuheizen. Das mag aber auch daran liegen, dass ich einfach kein Hutgesicht habe.
Nee, also echt, ich gewinne hier immer mehr den Eindruck, dass alle Menschen, außer mir natürlich, nicht nur sehr oft, sondern auch noch ständig total außergewöhnlichen Sex haben. Das ist bedrückend. Wobei ich anmerken will, dass mehr als die Hälfte der abgebildeten Stellungen mit einer auch nur halbwegs normalgewichtigen Frau überhaupt gar nicht zu praktizieren sind. Ich könnte mir gut vorstellen, dass etliche dieser Ratgeber-Bücher verantwortlich sind für Minderwertigkeitskomplexe und unschöne Unfälle im Beischlafzimmer.
Also, jetzt mal aufrichtig gesprochen, Sex im Stehen ist doch nicht wirklich praktikabel, wenn du als Frau mehr als sieben Kilo wiegst. Und beim lustigen Treiben auf dem Teppich oder dem Küchentisch entstehen immer blaue Flecken oder Schürfwunden. Und
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