Blauer Montag
Frieda.
»Beispielsweise bezüglich ihrer Stammbäume«, antwortete er, »und ob es mal Probleme mit dem Sozialamt gab oder Vorstrafen oder Kreditprobleme. Diese Informationen wären natürlich nur für unsere Augen bestimmt. Wir sind da sehr diskret.«
Er griff nach dem Buch auf seinem Schreibtisch und reichte es Frieda. »Wenn Sie das lesen, können Sie sich davon überzeugen, wie diskret wir sind.«
»Also gut«, sagte Frieda und notierte die beiden Namen und Adressen.
»Wahrscheinlich kommt nicht viel dabei heraus«, erklärte Professor Boundy. »Ich kann Ihnen nichts versprechen.«
»Das macht nichts.«
Er nahm ihr das Buch wieder aus der Hand. »Lassen Sie es mich noch signieren«, sagte er. »Vielleicht kann ich Sie auf diese Weise davon abhalten, es gleich an der nächsten Ecke zu verkaufen.« Er schrieb etwas hinein und gab es ihr zurück.
Frieda warf einen Blick auf die Widmung. »Vielen Dank.«
»Möchten Sie vielleicht zum Essen bleiben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie waren mir eine große Hilfe, aber ich habe es leider sehr eilig.«
»Das verstehe ich«, antwortete er. »Ich bringe Sie hinaus.«
Während er sie zur Haustür begleitete, sprach er über Kollegen, von denen er dachte, Frieda könnte sie auch kennen, und Konferenzen, auf denen sie sich vielleicht schon mal über den Weg gelaufen waren. Als er schließlich die Hand ausstreckte, um sich von ihr zu verabschieden, fiel ihm noch etwas ein. »Getrennte Zwillinge sind wirklich etwas Interessantes«, sagte er. »Ich habe mal einen Artikel über Zwillinge geschrieben, bei denen der eine jeweils schon im Mutterleib gestorben war. Die Überlebenden schienen das zu wissen, auch wenn sie es nicht wussten. Es ist, als wären sie von einer unbestimmten Trauer erfüllt und ewig auf der Suche nach etwas, von dem sie eigentlich gar nicht wissen können, dass sie es verloren haben.«
»Wie wirkt sich das denn auf ein Menschenleben aus?«, fragte Frieda. »Dieses Gefühl, dass einem ein Stück fehlt – wie geht man damit um?«
»Keine Ahnung«, antwortete Boundy. »Es scheint mir aber ein wichtiger Aspekt zu sein.« Er schüttelte ihre Hand. »Ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder.«
Er blieb an der Tür stehen und verfolgte, wie sie einstieg und der Lieferwagen langsam die Zufahrt entlangzuckelte, wobei er beinahe den dort parkenden Mercedes rammte, der dem Leiter von Professor Boundys College gehörte. Nachdem er die Haustür geschlossen hatte, eilte er noch immer nicht zu seinen Gästen, sondern blieb einen Moment nachdenklich stehen. Dann
kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück, zog die Tür hinter sich zu und griff zum Telefon.
»Kathy? Hier ist Seth. Was machst du denn gerade? … Hör zu, lass es sein und komm her, dann erzähle ich dir, worum es geht… Ich weiß, dass Weihnachten ist. Weihnachten ist nächstes Jahr auch wieder, aber eine Sache wie diese passiert einem nur einmal im Leben.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »In einer halben Stunde? … Gut. Ich erwarte dich.«
Lächelnd legte Boundy auf. Drüben hörte er Stimmengewirr und das Klirren der Gläser.
30
N achdem Frieda wieder eingestiegen war, schaltete Josef das Radio aus und sah sie erwartungsvoll an.
»Lassen Sie uns von hier verschwinden«, sagte sie, »und leihen Sie mir Ihr Handy. Ich muss dringend jemanden anrufen.«
Doch wie sich herausstellte, mussten sie erst ein paar Kilometer fahren, ehe sie wieder Empfang hatten. Als schließlich das entsprechende Zeichen auf dem Handydisplay erschien, bat Frieda Josef anzuhalten.
»Ich rauche eine«, erklärte er und stieg aus.
Frieda rief währenddessen bei der Polizei an. »Ich muss mit Detective Inspector Karlsson sprechen. Vermutlich ist er samstags nicht im Haus, und mir ist klar, dass Sie mir seine private Festnetznummer nicht geben werden, aber ich nenne Ihnen jetzt eine Handynummer, und dann richten Sie ihm bitte von mir aus, dass er mich umgehend anrufen soll. Sagen Sie ihm, wenn er sich nicht innerhalb der nächsten zehn Minuten bei mir meldet, rufe ich bei den Zeitungen an und gebe denen die Informationen über Matthew Faraday, die er selbst offenbar nicht hören will. Richten Sie es ihm bitte in genau diesen Worten aus.« Die Frau am anderen Ende setzte zu einer Erwiderung an, doch Frieda schnitt ihr das Wort ab. »Zehn Minuten«, wiederholte sie.
Sie beobachtete Josef, der mit heiterer Miene am Straßenrand saß. Er hatte sich für einen Platz unter einem kahlen Baum entschieden, der, nachdem
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