Blauer Montag
einen Spiegel schauen. Ich weiß, ich hätte Sie informieren
müssen. Ich hätte Sie sofort anrufen müssen, als er sich bei mir gemeldet hat. Aber vor ein paar Wochen wusste ich noch nicht mal, dass es ihn gibt. Ich musste mich einfach mit ihm treffen. Es tut mir leid.«
Er zitterte sichtlich und hatte auch wieder Tränen in den Augen. Carrie setzte sich neben ihn und griff nach seiner Hand. Sie drückte ihm einen Kuss auf die Fingerknöchel, woraufhin er seinen großen, schweren Kopf an ihre Schulter sinken ließ. »Ist schon gut, mein Liebling«, sagte sie in beruhigendem Ton.
Schützend legte sie den Arm um ihn. Auf Karlsson wirkte ihre Art mütterlich und sehr zärtlich. »Wann hat er Sie angerufen?« , fragte er.
»Wann war das, Carrie? Gegen neun, würde ich sagen, vielleicht auch ein bisschen früher. Wie ich gehört habe, ist der kleine Junge wieder aufgetaucht?«
»Was wir zum Teil Ihnen zu verdanken haben.«
»Ich bin nur froh, dass ich etwas tun konnte.«
»Was hat er gesagt, als er Sie angerufen hat?«
»Dass wir uns unbedingt treffen müssten. Dass ihm nicht viel Zeit bleibe und dass es unsere einzige Chance sei. Er hat gesagt, er wolle mir etwas geben.«
»Und Sie sind darauf eingegangen?«
»Ja«, murmelte er. »Ich hatte das Gefühl, wenn ich es nicht täte, würde ich ihn niemals sehen. Es war vielleicht wirklich meine einzige Chance, und hätte ich sie nicht wahrgenommen, würde ich es womöglich mein Leben lang bereuen. Klingt das für Sie dumm?«
»Haben Sie die Nummer, unter der er angerufen hat?«
»Es war eine Handynummer«, mischte Carrie sich ein. »Nachdem Alan gegangen war, habe ich die 1471 gewählt und mir die Nummer aufgeschrieben.« Sie gab ihm einen Zettel, den Karlsson an DC Long weiterreichte.
»Wo haben Sie sich verabredet?«
»An der Hauptstraße. Er hat gesagt, er sei schon dort. Beim alten Woolworths. Das Kaufhaus ist inzwischen geschlossen und mit Brettern vernagelt. Er hat gesagt, er werde nach mir Ausschau halten. Gleich im Anschluss an das Telefongespräch habe ich Carrie davon erzählt.«
»Dir ist ja gar nichts anderes übrig geblieben. Ich habe das Gespräch schließlich mit angehört. Ich wollte ihn begleiten«, wandte sie sich an Karlsson. »Ich wollte mit, aber er hat gemeint, sein Bruder würde vielleicht nicht mit ihm reden wollen, wenn ich dabei wäre. Also habe ich ihn gehen lassen, ihm vorher aber das Versprechen abgenommen, mich alle fünf Minuten anzurufen. Ich musste unbedingt wissen, ob mit ihm alles in Ordnung war.«
»Wann genau hat das Treffen stattgefunden?«
»Ich bin ganz langsam gegangen. Mir war vor Aufregung ganz schlecht. Ich schätze, ich habe für die Strecke zehn Minuten gebraucht.«
»Hat er Sie schon erwartet?«
»Plötzlich war er hinter mir. Ich bin total erschrocken.«
»Was hatte er an? Können Sie sich daran erinnern?«
»Eine alte Lederjacke. Eine Jeans. Außerdem eine Wollmütze in so einem grünlichen Braunton, die er sich bis in die Stirn gezogen hatte, sodass man seine Haare nicht sah.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Er hat mich Bruder genannt. ›Hallo, Bruder, nett, dich kennenzulernen‹, hat er gesagt. Als fände er das alles recht lustig.«
»Was noch?«
»In dem Moment hat Carrie mich auf meinem Handy angerufen, und ich habe ihr gesagt, dass es mir gut gehe und dass ich nicht in Gefahr sei. Ich habe ihr versprochen, so schnell wie möglich zurückzukommen. Danach hat er … tut mir leid, Liebling, aber er hat mich gefragt: ›Kann es sein, dass du ein bisschen unter dem Pantoffel stehst? Du hast doch hoffentlich keine Frau, die ständig nörgelt? Das sind die Schlimmsten,
glaub mir.‹ Dann hat er gesagt, ich solle mich mal richtig ansehen lassen. Und dass er mir etwas geben wolle.«
»Was denn?«
»Moment.«
Karlsson beobachtete, wie er eine große Segeltuchtasche unter dem Tisch hervorzog. Sie war offensichtlich schwer, und ihr Inhalt klapperte metallen. Er stellte die Tasche zwischen ihnen auf den Tisch.
»Er wollte mir sein Lieblingswerkzeug schenken«, erklärte er. »Ich habe mir die Sachen noch gar nicht angesehen.«
Er machte sich mit seinen dicken Fingern am Reißverschluss zu schaffen.
»Rühr das Zeug nicht an!«, sagte Carrie in scharfem Ton. »Fass nichts an, was ihm gehört hat.«
»Aber er hat es mir doch geschenkt.«
»Er ist ein böser Mensch. Wir wollen die Sachen nicht im Haus haben.«
»Ich nehme sie mit«, mischte Karlsson sich ein. »Hat er sonst noch was
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