Blauer Montag
Zigaretten, ein Feuerzeug, einen Stift
und das hier. Der Brief steckte in einem nicht adressierten Umschlag.«
Sie reichte ihm die transparente Mappe. Karlsson konnte die Nachricht lesen, ohne die Mappe aufschlagen zu müssen. Er ging ein paar Schritte den Pfad entlang, bis er aus dem Schatten der Brücke getreten war. Es handelte sich um eine kleinformatige Seite aus einem Spiralblock. Er kannte die große, geschwungene Handschrift von der Unterschrift, die Reeve unter die letzte Seite seiner Aussage gesetzt hatte. Der Text war kurz und gut lesbar:
Ich weiß, was mir bevorsteht. Das will ich alles nicht. Richtet Terry aus, dass es mir leid tut. Sorry, dass ich dich allein lasse, Süße! Sie weiß, dass sie immer die einzig Richtige für mich war. Sie hatte mit der ganzen Sache nichts zu tun, auch wenn sie selbst vermutlich nichts zu ihrer Verteidigung vorbringen wird. Sagt ihr, dass ich mein Bestes gegeben habe. Zeit zu gehen.
Dean Reeve
Karlsson schaute zu Melanie Hackett hinüber. »Er lässt sie die Sache allein ausbaden.«
»Was sollen wir jetzt machen?«, erwiderte sie.
»Ihr so heftig zusetzen, wie wir nur können. Sie ist alles, was wir noch haben.«
Karlsson rief Frieda an und informierte sie über Deans Abschiedsbrief.
»Irgendwie konnte ich ihn mir nie in einem Gerichtssaal vorstellen.«
»Ich weiß nicht, was Sie mir damit sagen wollen«, knurrte Karlsson. »Wie auch immer, ich habe Ihnen versprochen, Sie auf dem Laufenden zu halten, und hiermit meine Schuldigkeit getan.«
»Ich halte Sie auch auf dem Laufenden«, gab Frieda zurück.
»Wie meinen Sie das?«
»Das weiß ich selbst nicht so genau«, antwortete Frieda, »aber falls sich noch irgendetwas ergeben sollte, melde ich mich bei Ihnen.«
Nachdem Frieda das Gespräch beendet hatte, blieb sie eine Weile reglos sitzen. Auf dem Tisch vor ihr stand eine Kaffeetasse aus weißem Steingut. Durchs Fenster fiel Licht auf die Tasse, sodass sie auf der anderen Seite einen starken, fast bläulichen Schatten warf. Frieda hatte einen Zeichenblock vor sich liegen und versuchte gerade, das Ganze mit einem Kohlestift festzuhalten, ehe sich Licht und Schatten veränderten und das Bild verloren war. Sie starrte auf die Tasse und dann wieder auf ihr Blatt. Irgendetwas stimmte nicht. Der Schatten auf ihrer Zeichnung sah zwar aus, wie ein Schatten aussehen sollte, passte aber nicht zu dem, was sie tatsächlich vor Augen hatte. Sie fetzte die Seite aus dem Block, riss sie in der Mitte durch und dann gleich noch einmal. Während sie überlegte, ob sie es schaffen würde, von vorne anzufangen, klingelte das Telefon. Es war Sasha Wells.
»Frohe Weihnachten!«, sagte sie. »Ich habe Neuigkeiten für Sie.«
Sie verabredeten sich in der Nummer 9, weil das Café ganz in der Nähe von Sashas Arbeitsstelle lag. Als Frieda dort eintraf, musste sie feststellen, dass der ganze Raum mit Lametta, Sternen und kleinen Christbaumkugeln geschmückt war. Kerry begrüßte sie und deutete auf die Schaufensterdekoration. »Gefällt dir unser Santa Claus?«
»Ich sähe ihn lieber an ein Kreuz genagelt«, antwortete Frieda.
Kerry bedachte sie mit einem schockierten und höchst missbilligenden Blick. »Er ist doch für die Kinder gedacht«, erklärte sie, »und außerdem das Werk von Katya.«
Frieda bestellte den stärksten Kaffee, den sie zustande brachten.
Als Sasha hereinkam, fiel Frieda sofort auf, wie sehr sie sich schon rein optisch von der zitternden, ängstlichen jungen Frau unterschied, die sie ein paar Wochen zuvor kennengelernt hatte. Natürlich hieß das nicht automatisch, dass es ihr besser ging, aber sie trug das Haar ordentlich zurückgebunden und sah in ihrem schicken Hosenanzug aus, als fühlte sie sich der Welt durchaus gewachsen. Als sie Frieda entdeckte, begann sie übers ganze Gesicht zu strahlen. Frieda stand auf, machte sie mit Kerry bekannt und bestellte ihr einen Kräutertee und einen Muffin. Gemeinsam nahmen sie wieder Platz. Sashas eben noch lächelnde Miene wirkte plötzlich besorgt.
»Wann haben Sie denn das letzte Mal richtig geschlafen?«
»Ich hatte die letzten Tage viel zu tun«, antwortete Frieda ausweichend. »Also, was gibt’s?«
Sasha trank einen Schluck Tee und biss fast gleichzeitig ein Stück von ihrem Muffin ab. »Ich bin am Verhungern«, murmelte sie mit vollem Mund. Es dauerte einen Moment, bis sie alles hinuntergeschluckt hatte. »Als Erstes möchte ich Sie darauf hinweisen, wie dankbar Sie mir sein sollten. Ich arbeite
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