Blauer Montag
bedeutet hat. Und dass die beiden Matthew trotz allem nicht getötet haben. Auch Dean nicht. Selbst er brachte es nicht übers Herz, ihn zu töten. Und dann habe ich sie gesehen, als sie schlief.«
»Als sie schlief?«
»Ich kam in den Verhörraum, nachdem sie eingeschlafen war. Sie hatte das Gesicht auf die gefalteten Hände gebettet. Rose hat mir irgendwann erzählt, dass Joanna immer genau so eingeschlafen ist – mit dem Gesicht auf den Händen, die sie vorher wie zum Gebet gefaltet hatte. Es gibt ein paar Dinge, die man nicht auslöschen kann, zum Beispiel eine bestimmte Art zu lächeln oder irgendwelche kleinen Gesten. Oder die Art, wie man einschläft. Aber um ganz sicher zu gehen, musste ich es testen lassen. Deswegen habe ich das Taschentuch mit ihrer DNA mitgenommen und mir zusätzlich die von Rose besorgt.«
»Sie sieht so viel älter aus. Laut den wenigen Dokumenten, die wir von ihr vorliegen haben, ist sie etwa in Deans Alter. Es kann doch gar nicht sein, dass sie noch keine dreißig ist!«
»Sie ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, und in gewisser Weise wurde sie ihr Leben lang missbraucht.«
»Gleich werden Sie mir sagen, dass sie ein Opfer ist.«
»Sie ist ein Opfer.«
»Aber auch eine Täterin. Sie hat Dean dabei geholfen, Matthew zu entführen, vergessen Sie das nicht.«
»Ich weiß.«
»Der Junge hätte sterben können. Dann wäre sie wegen Beihilfe zum Mord dran gewesen. Und wo ist Kathy Ripon? Sie rückt nicht damit heraus.«
»Ich glaube nicht, dass sie das weiß.«
»Ach nein? Und worauf gründet sich dieser Glaube? Auf Ihr Bauchgefühl?«
»Ja, vermutlich. Aber dass sie an der Entführung des Jungen
beteiligt war, ergibt durchaus einen Sinn. Für sie war es sozusagen eine Möglichkeit, Mutter zu werden.«
»Sie saß die ganze Zeit vor meiner Nase!«, stöhnte Karlsson.
»Freuen Sie sich doch«, entgegnete Frieda. »Sie sind sowieso schon ein Held, weil sie ein verlorenes Kind wiedergefunden haben. Nun haben Sie sogar zwei gefunden. Matthew und Joanna.«
»Sie ist kein verlorenes Kind.«
»O doch, das ist sie. Mit ihr habe ich sogar am meisten Mitleid.«
Karlsson verzog das Gesicht, als hätte er schreckliche Kopfschmerzen. »Es war doch im Grunde alles Ihr Verdienst«, stellte er richtig. »Sie haben die beiden gefunden.«
Frieda trat auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Wange. Er schloss einen Moment lang die Augen. »Wissen Sie, was ich mir wünsche?« Frieda klang nachdenklich.
»Was?«, fragte Karlsson leise. »Anerkennung und Liebe, wie wir alle?«
»Nein«, antwortete sie. »Tiefen, erholsamen Schlaf. Ich würde gerne nach Hause gehen, tausend Jahre schlafen und anschließend frisch ausgeruht zu meinen Patienten zurückkehren. Ich möchte nicht an einer Pressekonferenz teilnehmen und erklären müssen, wie ich einen Patienten benutzt habe, um einen Mörder zu finden. Ich muss über viele Dinge nachdenken, und dazu brauche ich meine Ruhe. Ich möchte zurück in meinen Bau kriechen. Sie haben Matthew gefunden. Sie können einen DNA-Test machen lassen – einen legalen – und damit beweisen, dass Terry Joanna ist. Und Dean Reeve ist tot.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Sollten Sie allerdings mit dem Gedanken spielen, Joanna des Mordes anzuklagen und sie nun, da Dean Selbstmord begangen hat, zum Sündenbock zu machen, dann überlege ich mir die Sache noch mal. Selbst wenn Sie sie nur wegen Beihilfe zum Mord anklagen.«
»Was wollen Sie damit sagen? Sie ist schuldig, das wissen Sie genau.«
»Mir ist klar, dass die Meute da draußen ihren Kopf will – und dass man sie als Frau noch viel schlimmer behandeln wird, als man es mit einem Mann machen würde. Mir ist aber auch bekannt, dass sie entführt wurde, als sie noch kaum sprechen konnte. Dass sie psychologisch missbraucht und einer Gehirnwäsche unterzogen wurde und daher nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden kann. Falls Sie vorhaben, sie wegen einer Sache vor Gericht zu stellen, in die sie nur verstrickt war, weil sie selbst Opfer eines Verbrechens wurde, das mehr als zwei Jahrzehnte lang angedauert hat, dann sehen Sie mich vor Gericht wieder, und zwar als Sachverständige der Verteidigung.«
»Finden Sie nicht, dass sie trotz allem die Verantwortung für ihr Handeln trägt?«
»Lassen Sie es darauf ankommen«, erwiderte Frieda.
Karlsson warf einen Blick auf seine Uhr. »Nun ist schon der erste Weihnachtsfeiertag angebrochen.«
»In der Tat.« Frieda erhob
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