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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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anfangen.«
    »Was ist so schlimm daran, wenn man weint?«, fragte Alan
zu seiner eigenen Überraschung. »Warum sollte ich nicht weinen? Oder du?«
    »Ich weine tatsächlich manchmal, wenn du es genau wissen willst. Wenn ich allein bin.«
    Er griff nach ihrer Hand und spielte an ihrem Ehering herum. »Du hast also auch Geheimnisse vor mir.«
    »Wir hätten mehr darüber reden sollen. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass es irgendwann schon klappen wird. Viele Frauen warten jahrelang. Und wenn es nicht passiert, können wir vielleicht eines adoptieren. Ich bin ja noch ziemlich jung.«
    »Ich wollte immer einen eigenen Sohn«, sagte Alan leise, fast wie zu sich selbst. »Darüber habe ich in der heutigen Sitzung gesprochen. Dass wir kein Kind bekommen, macht mich nicht nur traurig. Ich fühle mich deswegen richtig mies, als würde mir ein Stück fehlen. Als wäre ich innerlich nicht fertig – und dann strömen all diese Dinge in mich hinein, um die Leere zu füllen.« Er hielt inne. »Das klingt blöd.«
    »Nein«, entgegnete Carrie, obwohl sie am liebsten laut geschrien hätte: Und was ist mit mir? Mit meinem Sohn, meiner Tochter? Ich wäre eine gute Mutter gewesen. »Sprich weiter.«
    »Es ist nicht gerecht. Auch dir gegenüber nicht. Ich habe dich enttäuscht und kann es nicht wiedergutmachen. Bestimmt wünschst du dir, du wärst mir nie begegnet.«
    »Nein.« Obwohl ihr natürlich schon des Öfteren durch den Kopf gegangen war, wie viel leichter es mit einem anderen Typ Mann gewesen wäre. Einem Mann mit Selbstvertrauen und starken Spermien, die in der Lage wären, tief in ihren Körper einzudringen. Sie verzog das Gesicht. Die beiden Eigenschaften schienen Hand in Hand zu gehen, aber sie wusste, dass das nicht stimmte. Es war nicht Alans Schuld.
    »Plötzlich ist alles aus mir herausgeströmt – auch Dinge, die mir gar nicht bewusst waren. Sie ist eine ziemlich beängstigende Frau, aber irgendwie kann man auch gut mit ihr reden.
Nach einer Weile hatte ich gar nicht mehr das Gefühl, mit jemandem zu sprechen. Es war, als ginge ich durch ein Haus, in dem ich noch nie zuvor gewesen war. Ich fand dort allerlei Dinge, nahm sie in die Hand und sah sie mir an. Ich gestattete mir, einfach in mir selbst herumzuwandern, und auf einmal ertappte ich mich dabei, wie ich diese Worte aussprach …« Er brach abrupt ab und strich sich mit der Hand über die Stirn. Plötzlich war ihm ein bisschen übel, und sein Puls ging schnell.
    »Was?«, fragte Carrie. »Was denn für Worte?«
    »Ich habe da so ein Bild im Kopf – es klingt verrückt. Das Bild wirkt so real, dass ich das Gefühl habe, es tatsächlich sehen zu können oder mich irgendwie daran zu erinnern. Als existierte es nicht nur in meiner Vorstellung. Es ist fast, als würde ich es wirklich erleben.«
    »Was denn? Was ist das für ein Bild, Alan?«
    »Ich sehe mich mit meinem Sohn. Einem kleinen Fünfjährigen mit leuchtend rotem Haar, Sommersprossen und einem breiten Grinsen. Ich sehe ihn ganz deutlich vor mir.«
    »Du siehst ihn?«
    »Und ich bringe ihm bei, wie man Fußball spielt.« Er deutete auf den kleinen Garten hinter dem Haus, den er in letzter Zeit sträflich vernachlässigte. »Er stellt sich recht geschickt an, hat den Ball gut unter Kontrolle, und ich bin so stolz auf ihn. Auf mich selbst auch, weil ich ein richtiger Dad bin, der mit seinem Sohn alles macht, was Väter mit ihren Söhnen eben so tun.« Er empfand ein beklemmendes Gefühl in der Brust, als wäre er eine weite Strecke gelaufen. »Und du stehst am Fenster und siehst uns zu.«
    Carrie schwieg. Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »In letzter Zeit bekomme ich das Bild überhaupt nicht mehr aus dem Kopf. Manchmal will ich das auch gar nicht, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass es mich in den Wahnsinn treibt. Sie hat mich gefragt, ob ich glaube, dass ich mich selbst als kleinen Jungen sehe, oder vielleicht das Kind in mir, das ich
irgendwie retten möchte. Aber so ist das nicht. Ich sehe meinen Sohn. Unseren Sohn.«
    »Lieber Himmel!«
    »Den Sohn, auf den wir warten.«
     
    So ist es immer. Es kommt ein Moment, da weiß man es plötzlich. So einfach ist das. Nach all den Monaten des Beobachtens. Die ganze Zeit wartet man darauf, dass die Leine zuckt und der Fisch anbeißt. Man übt sich in Geduld und Vorsicht. Man fragt sich, ob es dieser oder jener sein könnte. Niemals gibt man auf oder verliert den Mut, und dann passiert es plötzlich. Man muss nur bereit dafür sein.
    Er

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