Blauer Montag
bespricht, und wenn ich mit einem Freund auf ein Bier gehe, kann ich auch nur die Sorte Sachen sagen, die man halt unter Freunden so sagt.«
»Hier können Sie alles sagen. Es gibt keine Grenzen.«
»Sie werden sich bestimmt denken, dass das blöd von mir ist …«
»Es ist mir völlig egal, ob es blöd ist oder nicht.«
»Und Sie erzählen es wirklich niemandem?«
»Wieso sollte ich?«
»Versprechen Sie mir das?«
»Alan, ich bin beruflich verpflichtet, Ihre Privatsphäre zu respektieren. Es sei denn, Sie gestehen mir ein schlimmes Verbrechen. Oder planen eines.«
»Ich gestehe Ihnen schlimme Gefühle.«
»Erzählen Sie mir davon.«
Josef dachte, dass er sich jetzt eigentlich die Finger in die Ohren stecken sollte. Diese Worte waren nicht für ihn bestimmt.
Er sollte sie nicht hören. Trotzdem hielt er sich die Ohren nicht zu. Er konnte einfach nicht anders, er wollte es unbedingt wissen. Was spielte es letztendlich auch für eine Rolle?
»Ich habe nachgedacht«, erklärte der Mann. »Letztes Mal habe ich Ihnen doch erzählt, dass ich mir ein Kind wünsche, einen Sohn. Warum unterziehe ich mich nicht einfach einer Behandlung, die meine Spermienzahl erhöht, und nehme wegen meiner Potenzprobleme Viagra ? Es ist schließlich ein medizinisches Problem. Mit meinem Kopf hat das nichts zu tun.«
»Warum machen Sie dann nicht, was Sie gerade gesagt haben ?«
»Einerseits hatte ich in letzter Zeit oft dieses seltsame Gefühl im Zusammenhang mit meinem Sohn – diesem kleinen Jungen, der aussieht wie ich. Es ist wie eine Art Hunger. Zusätzlich plagen
mich aber auch schlimme Anfälle, bei denen ich fast zusammenbreche, beinahe die Besinnung verliere und mich komplett zum Narren mache. Dabei geht es nicht nur um diesen Hunger. Da kommt noch etwas anderes ins Spiel.«
»Nämlich?«
»Schuld.«
Wieder folgte eine Pause.
»Was für eine Art von Schuld?«, hakte Frieda nach.
»Ich habe auch darüber nachgedacht«, erklärte der Mann, »und bin zu folgendem Schluss gekommen: Ich wünsche mir diesen Jungen. Ich sehe ihn vor mir, wie er mit mir Fußball spielt. Aber während ich hier sitze und mir nichts sehnlicher wünsche, als ihn um mich zu haben, ist er noch nicht da und hat seinerseits womöglich gar nicht den Wunsch, mich um sich zu haben. Ergibt das für Sie einen Sinn?«
»Nicht so ganz«, gestand Frieda, »zumindest noch nicht.«
»Es liegt doch eigentlich auf der Hand: Die Kinder fragen nicht danach, geboren zu werden. Wir wollen sie haben. Ich schätze mal, das ist ein angeborener Instinkt. Aber worin besteht der Unterschied zwischen diesem Kinderwunsch und einer krankhaften Sucht? Man nimmt Heroin, um nicht mehr nach Heroin zu lechzen. Man wünscht sich ein Kind und bekommt eines, um diesen Hunger zu stillen.«
»Sie haben also das Gefühl, dass es ein selbstsüchtiger Akt ist, ein Kind in die Welt zu setzen?«
»Natürlich ist es das«, erwiderte der Mann. »Schließlich fragt man das Kind nicht nach seiner Meinung.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie sich schuldig fühlen, weil Ihre Sehnsucht nach einem Kind selbstsüchtig ist?«
»Ja.« Eine lange Pause. »Außerdem…« Er brach gleich wieder ab. Sowohl Frieda als auch Josef waren gespannt, was nun kommen würde. Da steckte doch mehr dahinter. »Außerdem macht es mir Angst, wie heftig ich diesen Kinderwunsch empfinde. Vielleicht geht es mir dabei so wie sonst nur den Frauen.«
»Wie meinen Sie das?«
Er sprach mittlerweile im Flüsterton. Josef lauschte angestrengt, um ihn überhaupt noch zu verstehen. »Ich habe von Frauen gehört, die sich erst wie ein vollständiger Mensch fühlen, wenn sie ein Kind haben. Bei mir ist es fast noch schlimmer. Ich habe das Gefühl – schon immer gehabt –, dass bei mir ein Stück fehlt. Als würde in meinem Innern so etwas wie ein Loch klaffen.«
»Ein Loch in Ihrem Innern? Sprechen Sie weiter.«
»Und wenn ich ein Kind hätte, würde es dieses Loch füllen. Klingt das nicht gruselig?«
»Nein, aber ich möchte diese heftige Sehnsucht, die Sie auch als Hunger beschrieben haben, gern noch genauer unter die Lupe nehmen. Was würde denn Ihre Frau sagen, wenn Sie ihr davon erzählen würden?«
»Sie würde sich fragen, was für eine Art Mann sie geheiratet hat. Ich frage mich ja sogar selbst, wen sie da geheiratet hat.«
»Vielleicht gehört es zu einer Ehe, dass man manches für sich behält.«
»Ich habe von meinem Sohn geträumt.«
»Wenn Sie das so sagen, klingt es, als würde er
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