Blauer Montag
der mit Sandy zusammenarbeitete und den auch Frieda schon seit Jahren kannte. Sie waren getrennt voneinander eingetroffen, aber irgendwann im Lauf des Abends war Sandy hinter Frieda getreten, die gerade bei einer Gruppe stand, und hatte ihr die Hand auf den Rücken gelegt. Als sie sich umwandte, beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie auf die Wange. Sein Kuss landete zu nahe an ihrem Mund und währte zu lange, um noch als Begrüßung zwischen Bekannten durchzugehen. Sandy setzte damit ein klares Zeichen, und natürlich wollte er, dass alle es mitbekamen. Als Frieda sich anschließend wieder den Leuten zuwandte, mit denen sie sich unterhalten hatte, sah sie, wie in ihren Augen Interesse aufblitzte, auch wenn niemand etwas sagte. Als Sandy und sie schließlich gemeinsam die Party verließen, waren sie sich der Blicke bewusst, die ihnen folgten, und auch der Spekulationen, die jetzt wohl angestellt wurden: Frieda und Sandy – habt ihr das gewusst, hättet ihr das gedacht?
»Demnächst stellst du mich wahrscheinlich deinem Boss vor. Oh, ich vergaß – du bist der Boss, stimmt’s?«
»Hast du etwas dagegen?«
»Wogegen?«
»Dass die Leute jetzt wissen, dass wir ein Paar sind.«
»Sind wir das?«, fragte sie leicht spöttisch, obwohl ihr Herz dabei heftig schlug.
Sie hatten das Barbican erreicht. Sandy wandte sich Frieda zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Nun komm schon, Frieda. Warum ist das so schwer? Sag es doch mal laut.«
»Was soll ich sagen?«
»Wir sind zusammen, ein Paar. Wir schlafen miteinander, schmieden Pläne, erzählen einander von unserem Tag. Ich denke die ganze Zeit an dich: Was du gesagt hast und wie du dich in meinen Armen angefühlt hast. Meine Güte, sieh mich doch an – vor dir steht ein über vierzigjähriger Facharzt, dessen Haare bereits grau werden und der sich trotzdem vorkommt wie ein Teenager. Warum ist es so schwer für dich, es auszusprechen ?«
»Ich fand es irgendwie aufregend, als es noch ein Geheimnis war«, antwortete Frieda. »Als noch niemand von uns wusste.«
»Es konnte nicht ewig ein Geheimnis bleiben.«
»Ich weiß.«
»Du bist wie ein wildes Tier. Ich habe fast Angst, dass du mir davonläufst, wenn ich mich mal ruckartig bewege oder ein falsches Geräusch von mir gebe.«
»Du solltest dir einen Labrador zulegen«, meinte Frieda. »Ich hatte als Kind eine Labradorhündin. Sobald man sie allein ließ, fing sie zu jaulen an. Wenn man wieder nach Hause kam, war sie jedes Mal so dankbar, als wäre man zehn Jahre weg gewesen.«
»Das will ich gar nicht«, entgegnete Sandy. »Ich will dich.«
Sie trat näher an ihn heran und schob die Arme unter seinen dicken Mantel und seine Anzugjacke. Durch das dünne
Hemd konnte sie die Wärme seines Körpers spüren. Er presste die Lippen auf ihr Haar. »Ich will dich auch«, flüsterte sie.
Schweigend betraten sie das Gebäude. Sobald sich die Aufzugtüren hinter ihnen geschlossen hatten, wandten sie sich einander zu und küssten sich derart leidenschaftlich, dass Frieda Blut auf den Lippen schmeckte. Erst als sie Sandys Stockwerk erreichten, lösten sie sich wieder voneinander. In der Wohnung nahm er Frieda den Mantel ab und ließ ihn auf den Boden fallen. Dann zog er den Reißverschluss ihres Kleides auf, hob ihr Haar etwas an und öffnete den Verschluss ihrer Halskette. Er ließ die feine Silberkette auf seine Handfläche gleiten und legte sie auf das kleine Tischchen in der Diele. Anschließend kniete er sich auf den Holzboden und zog Frieda erst den einen und dann den anderen Schuh aus. Als er zu ihr aufblickte, lächelte sie scheu. Glücklich zu sein machte ihr fast Angst.
»Ich bin nicht aus Polen.« Dieses Mal gingen Josefs Worte an die Adresse des einzigen anderen Mannes, der noch mit ihm im Pub saß. Der Gastraum wirkte etwas heruntergekommen, war aber dennoch so warm und gemütlich, dass Josef eigentlich gar nicht gehen wollte.
»Mir ist das egal«, meinte der andere Mann, »ich mag Polen. Hab nichts gegen sie.«
»Ich komme aus der Ukraine. Das ist etwas ganz anderes. Im Sommer machen wir …«
»Ich bin Busfahrer.«
»Ah.« Josef nickte. »Ich fahre hier gern mit dem Bus. Am liebsten oben und ganz vorn.«
»Du bist dran.«
»Bitte?«
»Ich hätte gern noch so einen, Kumpel.«
Der Mann hielt ihm sein Glas hin. Josef war fast sicher, dass die vorherige Runde auch schon auf sein Konto gegangen war. Er versenkte die Hand in der Tasche seiner Jacke, die nicht dick
genug war, um ihn
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