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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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er nur ein Summen in seinem Kopf, fast wie ein Echo. Er musste an das Tuten denken, das man hörte, wenn man mit Mummy und Daddy auf dem Weg in den Urlaub war und mit einer Fähre über das Meer fuhr. Ein einsames Tuten in der Ferne, von dem man eine Gänsehaut bekam, auch wenn man eigentlich nicht wusste, warum. In dem Moment wollte man nur in den Arm genommen werden und sich sicher fühlen vor der Welt, die so weit und tief und voller Überraschungen war, dass einem vor Angst fast das Herz in der Brust zersprang.
    Er musste aufs Klo. Verzweifelt konzentrierte er sich darauf, doch nicht aufs Klo zu müssen. Er war zu groß, um in die Hose zu pinkeln. Die Leute lachten über große Jungs, die noch in die Hose machten. Sie zeigten mit dem Finger auf sie und hielten sich die Nase zu. Erst war die Nässe warm, dann kalt, dann brannte die Kälte an seinem Oberschenkel, und er bekam den schwachen, aber trotzdem durchdringenden Geruch nicht mehr aus der Nase. Seine Augen waren auch nass und brannten. Er konnte sich die Tränen nicht aus dem Gesicht wischen. Mummy. Daddy. Es tut mir so leid, dass ich unartig war. Wenn
ihr mich jetzt mit nach Hause nehmt, werde ich ganz brav sein, das verspreche ich.
    Oder er war in eine Schlange verwandelt worden, denn seine Arme waren keine Arme mehr, sondern irgendwie an seinem Körper festgewachsen, auch wenn er die Finger noch bewegen konnte. Genauso waren seine Füße keine Füße mehr, sondern klebten aneinander. Es war einmal ein kleiner Junge namens Matthew, der einen Zaubertrank kostete und daraufhin zur Strafe in eine Schlange verwandelt wurde – dazu verurteilt, auf dem Boden dahinzukriechen. Unter seiner Wange war Holz. Er spürte es nicht nur, sondern roch es auch. Konnte er sich vielleicht wie eine Schlange bewegen? Er zog die Beine an und streckte sich dann wieder, wodurch sein Oberkörper ruckartig nach vorn glitt. Plötzlich stieß er mit dem Gesicht an etwas Kühles, Festes, das in einer abgerundeten Spitze endete. Er stieß mit dem Kopf ein wenig dagegen, doch es rührte sich nicht von der Stelle. Daraufhin reckte er den Hals und legte die Wange auf das Ding, um herauszufinden, worum es sich handelte. Beim Versteckspielen war er einmal in den Kleiderschrank seiner Eltern gekrochen. Kichernd hatte er sich in der Dunkelheit zusammengerollt, dabei aber auch ein bisschen Angst gehabt, weil durch den Spalt in der Doppeltür nur noch ein schmaler Streifen Licht hereinfiel. Er konnte seine Eltern im ganzen Haus hören. Sie suchten ihn an albernen Orten, zum Beispiel hinter den Vorhängen. Damals hatte er den Kopf auch auf so etwas gelegt. Jetzt spürte er unter seiner tränennassen Wange die Schleife eines Schnürsenkels und einen Knoten.
    Der Schuh wurde weggezogen, sodass sein Kopf unsanft auf dem Boden landete. Der Schuh stieß ihn grob in die Seite. Als plötzlich eine kleine grelle Lampe aufleuchtete, rollte er sich auf den Rücken, sodass er nun nach oben blickte, von der gleißenden Helligkeit aber so sehr geblendet wurde, dass er außer dem Licht überhaupt nichts sehen konnte. Es stach ihm in die Augen und explodierte mitten in seinem Kopf zu einer leuchtenden
Blüte, doch rund um diesen pulsierenden Kern herum wirkte die Dunkelheit nur noch schwärzer.
    Das Licht ging aus. Der Schuh schob ihn zur Seite. Einen Moment lang war in der Dunkelheit ein graues Rechteck zu erkennen, dann machte es Klick, und das Grau verschwand.

14
    F rieda läutete an der vertrauten Tür. Die Klingel war nicht zu hören. Vielleicht war sie kaputt oder läutete irgendwo tief im Haus. Frieda drückte erneut auf den Knopf. Noch immer nichts zu hören. Sie betätigte mehrfach den schweren Türklopfer, trat ein paar Schritte zurück und spähte durch die Fenster. Es war kein Licht zu sehen, keine Bewegung – keinerlei Anzeichen dafür, dass jemand zu Hause war. Hatte er sich womöglich zu einer Urlaubsreise entschlossen? Sie klopfte erneut, dieses Mal so heftig, dass die Tür wackelte. Dann beugte sie sich hinunter und spähte durch den Briefschlitz. Auf der Matte lagen etliche Briefe. Frieda wollte gerade gehen, als sie drinnen etwas hörte. Sie klopfte noch einmal. Nun regte sich im Haus definitiv etwas. Schritte näherten sich, irgendetwas klapperte, ein Riegel wurde zurückgeschoben, dann ging die Tür auf.
    Reuben kniff die Augen zusammen, als wäre selbst das graue Licht eines bewölkten Novembermorgens zu viel für ihn. Er trug eine schmuddelige Jeans und ein nur teilweise

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