Blauer Montag
of Dogs entfernt. In zehn Jahren würden diese Häuser alle renoviert sein, und in der Straße würde es ein Restaurant und ein schickes neues Pub geben.
Er drückte das Gesicht gegen das Glas. Skelette aus Schnee fielen in die verlorene Welt. Die Frau hatte schwarzes Haar. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen. Er wusste, dass es sie nicht wirklich gab. Solche Menschen gab es nicht mehr. Zierlich und gepflegt. Wie eine Tänzerin auf einer Spieluhr, die sich zu drehen begann, wenn man sie aufzog. Es gab einmal eine Frau mit langem rotem Haar, die ihn ihren Honigkuchen nannte. Als er noch Matthew war. Bevor er ihre Hand losgelassen hatte.
Ob sie wohl sein Gesicht sehen würde, wenn sie aufblickte? Aber es war ja gar nicht mehr sein Gesicht, sondern das von Simon, und Simon gehörte jemand anderem.
Die Tänzerin verschwand. Er hörte die Türglocke bimmeln.
Sie erreichte Hausnummer siebzehn, die Adresse auf ihrem Zettel. Auf seine ganz eigene Art wirkte auch dieses Haus renoviert. Die Haustür war dunkelgrün lackiert und mit einem Ziergebälk im georgianischen Stil versehen. An der Vorderseite des Hauses hatten sämtliche Fenster neue Rahmen aus schimmerndem Aluminium erhalten. Die kleine Gartenmauer war mit einbetonierten Glasscherben gespickt, die auf Frieda wie eine Warnung wirkten. Was sollte sie sagen? Was wollte sie eigentlich herausfinden? Frieda hielt es für besser, darüber gar nicht erst nachzudenken, weil sie sonst vermutlich auf der Stelle umgekehrt wäre. Also verdrängte sie jeden Gedanken daran. Sie drückte auf den Klingelknopf und hörte es drinnen läuten.
Nachdem sie eine Weile gewartet hatte, klingelte sie erneut und lauschte dann angestrengt.
Nichts, sagte Frieda zu sich selbst, doch in dem Moment tat sich drinnen etwas. Zunächst hörte sie nur ein undefinierbares Geräusch, aus dem dann eindeutig Schritte wurden. Die Tür schwang auf. Vor ihr stand eine Frau, die fast den ganzen Rahmen ausfüllte. Sie war groß, bleich und fett. Letzteres wurde noch dadurch betont, dass ihr schwarzes T-Shirt eine Nummer zu klein für sie war und die schwarzen Leggings, die sie dazu trug, nur bis zur Mitte ihrer Waden reichten. Eine Tätowierung, die wie ein lila Zopf anmutete, zog sich um ihren linken Oberarm, und eine zweite – ein Vogel, der für Frieda wie ein Kanarienvogel aussah – prangte an ihrem Unterarm. Ihr blondes Haar wuchs dunkel nach, und sie hatte Tränensäcke unter den Augen, die durch ihren blauen Lidschatten nur noch deutlicher hervortraten. Ihr Lippenstift war so dunkellila, dass ihr Mund damit fast schwarz wirkte, wie ein schlimmer Bluterguss. Sie hatte eine Zigarette in der Hand und klopfte die Asche über der Türschwelle ab, sodass Frieda einen Schritt zur Seite treten musste, um nichts davon abzubekommen. Die Situation erinnerte Frieda daran, wie sie als kleines Mädchen mal auf einer Kirmes gewesen war, einer gefährlichen Kirmes mit lauter klapprigen Fahrgeschäften, wie sie heute wohl gar nicht mehr zulässig wären. Damals hatte die achtjährige Frieda ihre fünfzig Pence einer Frau dieses Typs gereicht, die in einer gläsernen Kabine vor dem Eingang zur Geisterbahn oder zum Autoscooter saß.
»Was wollen Sie?«
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte Frieda. »Wohnt hier ein Dean Reeve?«
»Warum?«
»Ich würde gern kurz mit ihm sprechen.«
»Er ist nicht da«, antwortete die Frau, ohne sich von der Stelle zu rühren.
»Aber er wohnt hier?«
»Wer will das wissen?«
»Ich möchte nur kurz mit ihm sprechen«, entgegnete Frieda. »Es hat etwas mit dem Freund eines Freundes zu tun. Keine große Sache.«
»Geht es da um etwas Berufliches?«, fragte die Frau. »Ist irgendetwas schiefgelaufen?«
»Nein, ganz und gar nicht.« Frieda bemühte sich um einen beruhigenden Ton. »Ich möchte nur kurz mit ihm reden. Es dauert nur eine Minute. Wissen Sie, wann er zurückkommt?«
»Er ist nur auf einen Sprung weg«, erklärte die Frau.
»Darf ich hier auf ihn warten?«
»Ich lasse keine Fremden in mein Haus.«
»Nur ein paar Minuten. Bitte.« Entschlossen trat Frieda einen Schritt vor. Sie stand nun so knapp vor der Frau, dass sie einander fast berührten. Dadurch wurde ihr die Größe und die feindselige Ausstrahlung ihres Gegenübers nur noch mehr bewusst. Die Diele hinter der massigen Gestalt wirkte dunkel. Frieda stieg ein seltsam süßlicher Geruch in die Nase, den sie nicht identifizieren konnte.
»Was wollen Sie von Dean?«, fragte die Frau mit einem
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