Blauer Montag
schrillen Unterton in der Stimme. Sie klang zornig, aber auch ein wenig ängstlich.
»Ich bin Ärztin«, antwortete Frieda. Mit diesen Worten schob sie sich einfach an der Frau vorbei in die enge Diele. Der Raum war dunkelrot gestrichen, wodurch er noch kleiner wirkte, als er ohnehin schon war.
»Was für eine Sorte Ärztin?«
»Keine Sorge«, antwortete Frieda knapp, »das ist reine Routine. Es dauert nur einen Moment.« Sie versuchte, selbstsicherer zu klingen, als sie sich fühlte. Die Frau schob die Tür zu. Mit einem Klicken fiel sie ins Schloss.
Als Frieda sich umblickte, fuhr sie erschrocken zusammen. Von einem kleinen Sims links über der Tür starrte ihr ein ausgestopfter
Vogel, eine Art Falke, mit ausgebreiteten Flügeln entgegen.
»Dean hat ihn aus einem Laden um die Ecke. War auch ganz billig. Kein Wunder, wahrscheinlich wird man so was heutzutage kaum noch los. Mir macht das Ding Angst.«
Frieda trat ins Wohnzimmer, das von einem großen Fernseher mit Musikanlage beherrscht wurde. Mehrere Verstärker und Lautsprecher waren durch ein kompliziertes Gewirr aus Kabeln miteinander verbunden. Auf dem Boden stapelten sich DVDs. An den Fenstern, die zur Straße hinausgingen, waren die Vorhänge zugezogen. Das Mobiliar schien eher spärlich: An der Außenwand stand ein Sofa und an der gegenüberliegenden Wand eine riesige Truhe mit unzähligen kleine Schubladen.
»So ein Möbelstück sieht man selten«, bemerkte Frieda.
Die Frau drückte am Kaminsims ihre Zigarette aus und zündete sich gleich wieder eine neue an. Ihre Nägel waren lackiert, aber an den Fingerspitzen konnte Frieda die für Kettenraucher typischen gelblichen Verfärbungen sehen. Der Ringfinger wirkte rund um den breiten goldenen Ehering ein wenig geschwollen.
»Er hat es aus einem Laden, wo sie Möbel aus Geschäftsauflösungen verkaufen. Das Ding stand wohl mal in irgendeinem altmodischen Bekleidungsladen. Oder in einem Handarbeitsgeschäft. Die vielen Fächer waren für kleine Sachen wie Socken oder Wollknäuel. Dean bewahrt darin sein Werkzeug auf, den ganzen Kleinkram, Sie wissen schon: Sicherungen, Schrauben, Lineale. Und das Zeug für seine Modelle.«
Frieda lächelte. Die Frau schien durchaus zum Plaudern aufgelegt, auch wenn auf ihrer breiten Stirn Schweißtropfen glänzten und ihr Blick immer wieder nervös umherschweifte, als rechnete sie damit, dass jeden Moment jemand den Raum betreten könnte.
»Was baut er denn?«
»So kleine Boote. Richtige kleine Miniaturen. Manchmal
nimmt er sie mit zu den Teichen und lässt sie eine Runde fahren.«
Frieda blickte sich suchend um. Sie hatte ein ganz sonderbares Gefühl, das sie nicht recht einordnen konnte. Als wäre sie schon einmal hier gewesen. So als würde sie versuchen, sich an einen Traum zu erinnern, der sich immer mehr verflüchtigte, je verzweifelter sie ihn festhalten wollte. Eine kleine Schildpattkatze schlich auf leisen Pfoten in den Raum und schmiegte sich um ihre Beine. Als Frieda sich hinunterbeugte, um sie zu streicheln, kam eine zweite Katze herein – ein riesiges Exemplar mit einem mattgrauen Fell, aus dem große verfilzte Knäuel hervorstanden. Frieda trat einen Schritt zurück. Diese Katze wollte sie nicht anfassen. Sie entdeckte zwei weitere, die ineinander verschlungen in der Sofaecke lagen. Nun wusste sie, wonach es roch: nach Katzenklo, Katzenscheiße und Raumspray.
»Wie viele Katzen haben Sie denn?«
Die Frau zuckte mit den Achseln.
»Sie kommen und gehen.«
Er lag auf dem Boden, ein Ohr an das Holz gepresst, und lauschte. Die eine Stimme kannte er. Die andere klang weich und klar. Wie ein Bach, den er durch seinen Körper fließen lassen konnte. Das Wasser würde den Schmutz wegwaschen. Denn er war ein schmutziger Junge. Einer, dem der Mund ausgewaschen gehörte. Einer, der keine Ahnung hatte, wie undankbar er war. Der das alles gar nicht verdient hatte. Schämen sollte er sich. So ein Schmutzfink.
»Mein Name ist Frieda.« Sie sprach langsam, weil es ihr plötzlich so vorkam, als wäre sie durch einen Spiegel in eine andere Welt getreten. »Frieda Klein.« Da die Frau nicht reagierte, fragte sie: »Und wie heißen Sie?«
»Terry«, antwortete die Frau. Sie drückte ihre Zigarette in einen überquellenden Aschenbecher und nahm sich sofort eine
neue, wobei sie dieses Mal auch Frieda eine anbot. Frieda hatte schon vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört. Seitdem war sie fast allergisch dagegen. Sie hasste es, wenn Zigarettenqualm in der Luft
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