Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Puppen in eine imaginäre Familienszene vertieft war.
Die Freundin, ein Mädchen aus dem Nachbarhaus namens Berit, war ein Geschenk des Himmels, denn in den Stunden zuvor war es Pia zunehmend schwerer gefallen, ihre Nichte bei Laune zu halten. Sie hatten zusammen Spaghetti gekocht, abgewaschen, waren ein Stück um den Block gegangen, um frisches Brot und Milch einzukaufen, und dann waren Pia die Ideen ausgegangen.
Sie hatte sich von Clarissa den Zugang zu dem kleinen Garten zeigen lassen, in dem die Mieter für die in den umliegenden Häusern wohnenden Kinder einen Sandkasten und eine Schaukel aufgestellt hatten. Aber das Schaukeln war Clarissa schnell langweilig geworden, und für die imaginären Verkaufsszenen im Sandkasten-Bäckerladen hatte Pia nicht die rechte Begeisterung aufbringen können. Als Clarissas Freundin aufgetaucht war, hatte Pia erfahren, dass nichts so entspannend ist wie zwei friedlich miteinander spielende Kinder.
Die letzte Stunde des Nachmittags hatte sie lesend auf einer alten Gartenbank zugebracht, doch allmählich wurde es zu kühl draußen, um herumzusitzen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass Tom bald von der Arbeit kommen musste.
Pia hatte in halbstündigen Abständen immer wieder auf ihr Mobiltelefon gestarrt, ob ihr vielleicht ein Anruf oder eine SMS entgangen wäre, denn sie wartete mit wachsender Ungeduld auf eine Nachricht über Marlenes Verbleib. Dass sie rein gar nichts gehört hatte, erschien ihr sonderbar und mittlerweile auch äußerst beunruhigend. Sogar eine schlechte Nachricht hätte sie doch bereits erreichen müssen. Selbst wenn Marlene etwas zugestoßen war, hätte man Tom doch inzwischen ausfindig machen und informieren müssen.
Als ihr Handy dann tatsächlich klingelte, zuckte sie zusammen. Endlich! Auf dem Display erkannte sie, dass es Ossi war, ihr Kollege Oswald Heidmüller.
»Hi, Pia, ich bin es. Wie schmeckt der Urlaub? Bei dem Wetter hast du bestimmt noch keinen Pinselstrich getan, stimmt’s?«
»Erraten, ich sitze an der frischen Luft und passe auf meine kleine Nichte auf.«
»Wie bitte? Ich wusste nicht einmal, dass du eine Nichte hast?«
»Die ist auch neu. Sie ist die Tochter von Toms Frau Marlene. Du erinnerst dich vielleicht an die Hochzeit im letzten Herbst, auf der ich war? Das Mädchen ist fünf Jahre alt, und wir machen uns alle ziemliche Sorgen, weil ihre Mutter verschwunden ist.«
»Wie verschwunden?«
»Marlene ist am Freitagabend angeblich in die Schweiz geflogen, um eine Freundin zu besuchen, und Tom hat sie am Sonntagmittag zurück erwartet. Sie ist aber immer noch nicht wieder da, und kein Mensch weiß, wo sie steckt.«
»Habt ihr es bei dieser Freundin versucht?«
»Das ist ja der Mist. Die Freundin sagt, Marlene war gar nicht bei ihr. Sie hätte den Besuch kurzfristig wieder abgesagt. Tom hat Marlene aber planmäßig zum Flughafen gebracht. So, und nun kommst du ...«
»Hat dein Bruder schon die Polizei informiert?«
»Er will nicht. Noch nicht. Ich bin etwas ratlos, wie ich mich in dieser Angelegenheit verhalten soll. Aber solange ich auf die Kleine aufpasse, kann ich sowieso nicht viel unternehmen. Clarissa soll natürlich nicht merken, dass wir uns Sorgen machen.«
»Tom sollte versuchen herauszufinden, ob Marlene überhaupt geflogen ist, und wenn ja, wohin.«
»Das habe ich ihm auch schon gesagt, aber er meint, sie wäre spätestens heute Abend wieder da. Das ist alles eine ziemliche Scheiße hier. Entschuldigung. – Clarissa! Berit! Es ist noch zu kalt zum Barfußlaufen! Zieht eure Schuhe wieder an! – Was hast du eben gesagt, Ossi?«
»War ich gemeint? Ich habe meine Schuhe noch an. Nein, im Ernst, ich rufe eigentlich an, um dir zu sagen, dass wir es im Falle unserer Wasserleiche wohl tatsächlich mit einem Mord zu tun haben. Gut möglich, dass Gabler dich doch wieder herbeordert, wenn er mal wieder feststellt, dass er mehr Arbeit als Leute hat.«
»Es war also Mord. Dabei sah es doch mehr nach einem Unfall oder vielleicht auch nach Selbstmord aus.« Insgeheim dachte Pia aber, dass ihr Gefühl sie in dieser Sache nicht getrogen hatte. Sie hatte es so und nicht anders erwartet.
»Er wurde erst beinahe vergiftet und ist dann ertrunken. Und zwar mit einem Zeug, von dem unser guter Kinneberg sagt, dass man sich damit nicht selbst umbringen will. Und wenn der das behauptet, würde ich es bestimmt nicht versuchen ...«
»Um was für ein Gift handelt es sich?«
»Ein Pflanzengift namens Aconitin.«
»Das sagt mir
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