Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
von Begrüßung, die Pia erwartet hatte. Schade war nur, dass sie ausgerechnet von Oswald Heidmüller kam.
»Ich bin nicht zum Spaß hier. Ich bin zufällig auf etwas gestoßen, das mit eurer Wasserleiche zusammenhängen könnte.«
Sie schüttelte die Regentropfen von ihrer Jacke und warf diese dann auf die Fensterbank. Dann ließ sie sich auf ihren Bürostuhl fallen und prüfte den Inhalt der Thermoskanne auf dem Tisch. Sie war mit leerem Magen losgefahren, und ein Becher Kaffee käme jetzt gerade recht. Von dem Alkohol gestern Abend war ihr noch ganz flau.
»Zufällig? Willst du eine Alka Selzer? Du siehst scheußlich aus.«
»Jetzt nicht. Du hattest mir doch erzählt, dass bei der Wasserleiche, die am Sonntag am Strand lag, Gift mit im Spiel war. Wie hieß das Gift?«
»An’nem schönen blauen Sonntag ... lag ein toter Mann am Stränd ...«, sang Heidmüller falsch und scheußlich.
Irgendetwas lief heute verkehrt. Vielleicht hatte Ossi eine ähnlich turbulente Nacht hinter sich wie sie: erst spielen die Hormone verrückt, dann folgt die Ernüchterung. Oder wie kam er jetzt auf die Dreigroschenoper?
»Spuck es aus. Es ist wichtig.« Ihr Tonfall wischte ihm augenblicklich das Grinsen aus dem Gesicht.
»Aconitin«, sagte er mit nüchterner Stimme.
»Aconitin, genau. Ich habe mich also nicht geirrt. Wusstest du, dass es vor kurzem in Lübeck einen weiteren Vergiftungsfall mit dem Zeug gegeben hat?«
»Ist mir neu.«
»Ein Mann ist wegen akuter Magenprobleme und Verdacht auf eine Gastritis oder eine Salmonelleninfektion ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Ärzte haben herausgefunden, dass Aconitin die Ursache für seine Beschwerden ist.«
»Woher weißt du das?«
»Das hat mir gerade jemand erzählt. Weißt du, ob Gabler heute in seinem Büro ist. Ich finde, dass er umgehend darüber informiert werden sollte.«
»Er kommt heute später. Er hat noch einen Termin vor Gericht, glaube ich.«
»Okay, dann warte ich.«
»Hast du schon was von deiner Schwägerin gehört. Ist sie wieder aufgetaucht?«
»Nichts! Wir machen uns inzwischen alle große Sorgen um sie.« Bei »alle« musste Pia an ihre Mutter denken, die heute aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Gott sei Dank mit einem negativen Befund, ergo positivem Ergebnis.
»War denn dein Bruder endlich bei der Polizei?«
»Ja, vorgestern. Die Vermisstensachen bearbeitet doch meistens das K11. Kennst du da jemanden, den ich mal ansprechen könnte?«
»Versuch’s mal mit Rainer Schneekluth. Sein Büro ist das erste auf der rechten Seite. Ich bin mit ihm auf der Fachhochschule gewesen. Kannst ihm einen schönen Gruß von mir bestellen, er schuldet mir noch einen Big Mäc und ’ne Cola ...«
»Ich schaue gleich bei ihm rein und sage hallo. Oder willst du mich ihm vorstellen, dann könntest du gleich deine Schulden eintreiben?«
»Lieber nicht. Versuch dein Glück, vielleicht erzählt er dir was.«
Schneekluth saß am Schreibtisch und tippte auf seiner Tastatur herum. Er war allein im Raum. Beim Eintreten fiel Pias Blick auf Aktenstapel, lose Zettel, benutzte Kaffeebecher und eine Familienpackung Kekse, die um eine Vormachtstellung auf der Schreibtischoberfläche rangen.
»Herr Schneekluth, haben Sie einen Moment Zeit für mich?« Irritiert sah Schneekluth auf. Das Überraschungsmoment war auf ihrer Seite. Pia stellte sich ihm vor und sah eine Mischung aus Verwunderung und Misstrauen über sein Gesicht huschen, bevor er seine Mimik wieder im Griff hatte und seinen Mund zu einem Lächeln verzog.
»Freut mich. Rainer Schneekluth. Ich bin seit Dienstag mit dem Vermisstenfall Liebig befasst. Dann sind Sie also die Schwägerin der Vermissten. Ihr Bruder erwähnte so etwas, als wir miteinander gesprochen haben. Ich wäre sowieso noch auf Sie zugekommen. Sie sind mir jetzt nur zuvorgekommen.«
Schneekluth loggte sich aus dem Programm aus, in dem er gerade arbeitete. Pia beobachtete ihn dabei. Er hatte eine kräftige Statur mit einem auffallend großen Kopf, dunkelblondes, schon etwas lichtes Haar und dunkle, kleine Augen. Eine dezente Lücke zwischen den Vorderzähnen gab ihm trotz seiner Statur etwas Niedliches und Harmloses, aber Pia vermeinte an seiner Physiognomie und den ruckartigen Bewegungen einen ernst zu nehmenden, wenn nicht gefährlichen Kriminalbeamten zu erkennen.
Gefährlich im Sinne von effektiv und skrupellos, mit einem leicht grausamen Zug um die weichen Lippen.
»Mein Bruder macht sich große Sorgen um Marlene. Und alle
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