Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
eher Hinnerk das klar war, desto besser.
Er sah auch nicht gerade entspannt und glücklich aus.
»Ich habe gehört, dass du heute bei Moritz warst«, sagte er statt einer Begrüßung.
»Ja, ich musste den Urlaub abbrechen. Glücklicherweise kümmert sich jetzt eine der Omas um meine Nichte. Es ist viel zu tun im Büro ...«
»Tatsächlich?«
»Wenn bei uns die Luft brennt, dann geht das einfach vor ...«
»Ich bin auch eben erst von der Arbeit gekommen. Die haben wegen des Einbruchs noch einmal unsere Wohnung durchsucht. Langsam reicht es mir. Die Küche ist versiegelt, wie sie es nennen. Da kann ich erst morgen wieder rein.«
»Na klasse. Willst du mit hochkommen?«
Er stand sowieso direkt hinter ihr und sah sie erwartungsvoll an. Sie stiegen hintereinander die schmale Treppe zu Pias Wohnung hinauf.
Die Wohnungstür schabte über die ausgelegte Baufolie im Flur und ließ sich nur mit Nachdruck öffnen. Es stank nach Farbe. Zu hoffen, die Heinzelmännchen hätten über den Tag das Chaos aus Farbeimern, Folien und Klebeband beseitigt, war natürlich lächerlich gewesen.
Pia seufzte und ging quer durch die Wohnung ins Wohnzimmer, um das große Atelierfenster weit aufzureißen. Sie zog die durchsichtige Plastikfolie von den wenigen Möbelstücken, die sie in der Mitte des Raumes zusammengeschoben hatte, und legte damit zwei Sitzplätze in Form ihres Sofas und eines zerschlissenen Lehnstuhls frei.
»Nette Aussicht!«, stellte Hinnerk fest, der zum Fenster hinübergegangen war.
Das sagten alle.
Sie nickte. »Kein Stuck, aber auch keine Einbrüche bisher ...«
»Wir hätten neulich Abend besser zu dir gehen sollen ...« Er errötete, was ihm gut stand.
»Soll ich uns Spaghetti kochen?«, fragte Pia. Heikel, eine Einladung zum Essen, aber sie hatte Hunger und wahrscheinlich erst dann den Nerv und die Kraft, ihn rauszuschmeißen, wenn sie etwas gegessen hatte. Es würde nicht ohne Erklärungen abgehen, das war klar.
»Da sag ich nicht nein.«
Das hatte sie auch nicht erwartet, sowie er sie hier abgefangen hatte. Sie kannten sich doch kaum. Pia empfand seine Anwesenheit nach einem Arbeitstag wie heute als anstrengend. Als sie in der Küche stand und das Nudelwasser vorab im Wasserkocher erhitzte, weil ihr Herd eine kleine Ewigkeit brauchte, ein paar Liter zum Kochen zu bringen, fand sie sich ungerecht. Vorgestern war sie noch mit zu ihm nach Hause gegangen, war willens und bereit gewesen, mit ihm zu schlafen, und heute war es ihr lästig, wenn er sich in ihrer Wohnung aufhielt.
Hinnerk konnte überhaupt nichts dafür, dass sich für sie die Situation heute grundlegend geändert hatte. Er ahnte wahrscheinlich nicht einmal, wie schwierig diese Verquickung von Arbeit und Privatem für sie war.
Pia schüttete das kochende Wasser in ihren größten Kochtopf und kramte in ihrem Vorratsschrank nach den Nudeln. Es würde nur eine einfache Tomatensoße dazu geben, aber sie hatte noch ein Stück Parmesan, immerhin etwas.
Nach dem Essen fühlte sich Pia etwas entspannter. Es war mittlerweile neun Uhr, sie hatten eine halbe Flasche Wein getrunken und sich zum Nachtisch Espresso gemacht und eine Tafel Zartbitter-Schokolade geteilt. Der Tag hätte schlechter ausklingen können.
»Gibt es Neuigkeiten von deiner Schwägerin?«, fragte Hinnerk unvermittelt und nahm ihr so die Einleitung zu diesem Thema ab.
Was hatte sie ihm eigentlich schon alles von Marlene erzählt? Die konkrete Frage entwich sofort wieder ihren Gedanken, ehe sie sie noch für sich beantwortet hatte, aber ein unbehagliches Gefühl blieb.
»Nichts Neues«, antwortete sie vorsichtig. Morgen früh würde das Spurensicherungsteam bei ihrem Bruder Tom auflaufen, vermutete Pia. Sofort, wenn der richterliche Beschluss durch war. Doch der Durchsuchungsbeschluss war, bei all dem, was die Polizei inzwischen zusammengetragen hatte, eine reine Formsache.
»Du machst dir ziemliche Sorgen.« Es war eine Feststellung.
»Mittlerweile schon, und ich denke mit Recht«, antwortete Pia und stand vom Küchentisch auf. Sie begann, die leeren Teller und Bestecke hinüber zur Spüle zu räumen. »Wenn jemand wie Marlene, die mitten im Leben steht, so lange abgängig ist, ist das ein schlechtes Zeichen. Ein verdammt schlechtes Zeichen. Sie wollte am Sonntagmittag zurück sein, jetzt haben wir Freitagabend. Da kann man nicht mehr von einer Verspätung reden, von einer Unregelmäßigkeit. Marlene ist verschwunden! Sie hat ein kleines Kind, fünf Jahre alt! Ich hätte nicht
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