Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Verdacht«, erklärte Pia.
»Verdacht worauf?«
»Dass du hier bist. Er hat mich gewarnt, weil du ein Zeuge in unserem aktuellen Fall bist.«
»Das gehört sich wohl nicht ...«
»Nein, davon kann keine Rede sein. Es ist absolut tabu, eine Todsünde, verbotener als verboten.«
Er runzelte die Stirn.
»Ich muss jetzt los. Du kannst die Wohnungstür hinter dir zuziehen. Im Zweifelsfall hat Susanne Herbold im Erdgeschoss einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Ich melde mich bei dir, wünsch mir Glück!«
»Hals- und Beinbruch mit Kugel im Kopf, oder was wünscht ihr euch?«
»Bis dann!«
Unten, am Ende des Ganges, wartete Broders mit missmutiger Miene. »Frauen haben wohl andere Uhren als Männer«, grummelte er und ging ihr mit schnellen Schritten voraus zum Wagen. Sie schmiss ihre Reisetasche in den Kofferraum, wo bereits ein ansehnlicher Koffer und eine Tasche von ihm warteten.
»Lohnt es sich wenigstens?«, fragte er, als er den Zündschlüssel umdrehte.
»Was? Ich weiß doch auch nicht, was wir in Barsinghausen vorfinden werden.«
»Ich meine den Typen. Ist er nicht ein bisschen jung?«
Sie merkte, wie ihr die Röte als warme Welle zu Kopf stieg, und sah zur Seite aus dem Fenster. Hinnerks Wagen, Kennzeichen HL-HJ ... mit zwei Rote-Kreuz-Aufklebern versehen, parkte auf der anderen Straßenseite. Und Broders war bestimmt seit 20 Jahren bei der Kripo ...
»Er weiß, was er tut«, behauptete sie ausweichend. Broders lachte. Er lachte, wie sie meinte, zum ersten Mal in ihrer Gegenwart ohne boshaften Unterton.
»Oh Mann, Pia«, stieß er schließlich nach Luft schnappend hervor, »wenn du ein Mann wärst, würde ich dich für diesen Spruch auf der Stelle lieben.«
»Du machst mir Angst, Broders«, sagte sie und musste ebenfalls lachen.
Die Fahrt nach Barsinghausen dauerte zweieinhalb Stunden. Es war schon fast dunkel, als sie das Ortsschild passierten, das kleine Städtchen lag verlassen und düster im Lichtschein einiger weniger Straßenlaternen und Reklameschilder.
»Wo wollen wir pennen?«, fragte Broders, »ich hatte keine Zeit mehr, ein Hotel oder eine Pension rauszusuchen.«
»Nimm von mir aus das erstbeste. Mit Duschbad und Klo bitte.«
Sie bezogen in einem kleinen Hotel am Ortsrand Quartier, das im Erdgeschoss mit echten Teppichen, poliertem Messing und gerahmten Kunstdrucken an den Wänden aufwarten konnte. Sobald das Messinggeländer sich für die an der Rezeption stehenden Gäste außer Sichtweite befand, hatte es ein Ende mit dem Glanz, der Teppich wechselte in Linoleum, und statt Kunstdrucken befanden sich im zweiten Stockwerk nur noch Stockflecken an den Tapeten. Der günstige Zimmerpreis musste ja auch irgendwo seine Berechtigung haben.
Pia bezog ein Einzelzimmer von der Größe einer Pferdebox mit einem schmalen Fenster, welches einen Blick auf eine Tankstelle und einen verwahrlosten Hinterhof bot. Hinter den Dächern der Stadt erhob sich düster der bewaldete Höhenzug des Deister im Mondlicht. Wenigstens war es ruhig und einigermaßen sauber.
Nachdem sie ihre Tasche auf die mit Teppich bezogene Kofferablage geschmissen und die Kunststoff-Nasszelle einem kleinen Testlauf unterzogen hatte, traf sie sich mit Heinz Broders unten vor dem Eingang. Sie gingen auf gut Glück die Straße hinunter in Richtung Fußgängerzone und aßen in einer kleinen Pizzeria zusammen Abendbrot. Sie waren die letzten Gäste, und der Wirt hatte es offenbar eilig, seinen Laden endlich dichtzumachen.
»Wir sind morgen um acht Uhr auf dem örtlichen Polizeirevier verabredet. Ich hoffe nur, die haben uns alles rausgesucht, was mit dem alten Fall zu tun haben könnte«, sagte Pia, nachdenklich.
»Es wird nicht gerade lustig werden, nach 20 Jahren Leute auf einen Vergewaltigungsfall ansprechen zu müssen, in der vagen Hoffnung, sie mögen sich doch bitte erinnern.«
»Vielleicht lebt der Täter sogar noch irgendwo hier. Wenn er damals 30 war, ist er jetzt um die 50.« Pia leerte ihr Glas. »Wir müssen fragen, ob es hier später noch mal einen ähnlich gelagerten Fall gegeben hat.«
»Normalerweise hören diese Typen nicht einfach auf, wenn sie einmal mit so einem Verbrechen durchgekommen sind. Wenn es nie wieder so einen Fall im weiteren Umkreis von Barsinghausen gegeben hat, dann glaube ich nicht, dass der Täter sich hier noch aufhält.« Broders klang wieder fast so missmutig wie immer.
»Er könnte auch genauso gut aus Hannover stammen, oder aus Bielefeld, Minden, was weiß ich ... An den Wochenenden
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