Blaulicht
dient, darauf eine Tasse mit schwarzem Kaffee, Tabak, Zigarettenpapier, Aschenbecher. Ein Bettbezug, mit Nägeln befestigt, hängt vor dem Fenster und verwandelt das Tageslicht in Dämmerung. Die Musiklautstärke grenzt an Körperverletzung.
»Bist du Fabian Menzel?« brüllt Kalz.
»Für dich immer noch Herr Menzel.«
Kalz holt tief Luft – oder vielmehr, er hätte gern tief Luft geholt, wenn er in diesem Raum nicht um seine Bronchien fürchten müsste.
»Machen Sie mal das Fenster auf!«
»Damit sich irgendein Idiot da draußen über Ruhestörung beschwert?«
Kalz greift nach dem Kabel, das die portable Stereoanlage mit Strom versorgt, und zieht den Stecker.
»Damit wäre das Problem wohl erledigt.« Kalz zieht seinen Dienstausweis aus der Tasche. »Kripo Nürnberg. Kalz ist mein Name. Herr Menzel, ich bin unter Umständen bereit, so zu tun, als ginge es mich nichts an, dass Sie hier mietfrei leben und Gratisstrom beziehen. Aber wenn Sie auf stur schalten, kann ich äußerst ungemütlich werden. Haben wir uns verstanden?«
»Ist ja gut, Mann.« Fabian legt die Gitarre zur Seite und begibt sich träge zum Fenster. Die Ketten an seinen löchrigen Jeans klirren schwer bei jeder Bewegung. »Sonst noch Wünsche?«
»Nein. Wir können jetzt gleich zum Wesentlichen kommen. Haben Ihnen die Buschtrommeln schon vermeldet, was mit Sandra Kovács los ist?«
»Nöö. Was soll denn los sein? Die hat doch schon lange die Flatter gemacht.«
Fabian hat die Tischkiste leergeräumt und sich drauf gehockt. Mit den Händen beginnt er einen wilden Rhythmus zu trommeln. Das Mädchen mit den schimmelig grünen Strähnen im Haar lehnt kichernd im Türrahmen.
»Also, Mann, was ist mit Sandra? Was hat die Süße angestellt, was euch mal wieder nicht passt?«
»Sie hat am vergangenen Dienstag den Musiklehrer Wolfgang Gerlach niedergestochen und liegt seitdem unansprechbar im Klinikum.«
Das Trommeln verstummt schlagartig.
»Scheiße!«
Das Mädchen verschwindet. Fabian ist die Zigarette aus dem Mund gefallen und kokelt ein weiteres Loch in die Überreste des Teppichbodens.
»Ist der Gerlach tot?«
»Nein. Nächste Woche wird er aus dem Krankenhaus entlassen.«
Fabian verzieht den Mund zu einem spöttischen Grinsen und klaubt die Zigarette vom Boden.
»Na, dann ist doch alles in Ordnung. Gut für Sandra, auch wenn es dieser Scheißkerl anders verdient hätte. Aber was hab ich damit zu tun?«
»Das mit dem Gerlach ist das eine. Das andere ist: Sandra Kovács liegt im Klinikum, weil sie massiv drogengeschädigt ist.«
»Ja, und? Bin da jetzt ich dran schuld, oder was? Ich hab sie ja ewig nicht mehr gesehen!«
»Wann denn zum letzten Mal?«
»Letztes Jahr irgendwann mal.«
»Geht’s ein bisschen genauer? Vor allem, was das ›Wo‹ betrifft?«
»In Leipzig.«
Fabian beginnt wieder zu trommeln. Kalz merkt, wie seine Geduld langsam, aber sicher an ihre Grenzen stößt.
»Wo in Leipzig?«
»Wo schon, Mann! Auf dem Gothic-Treffen letztes Jahr. Irgendwo auf der Straße.«
»Haben Sie mit ihr geredet?«
»Hätte ich ganz gern. Aber die war ja völlig weggetreten. Hat mich bloß komisch angesehen und mich gefragt, ob ich jetzt wohl auch hinter ihr her bin.«
»Wer war denn noch hinter ihr her?«
Die Zigarette in seinem Mundwinkel brennt nicht richtig. Fabian wirft das streikende Feuerzeug in die Ecke und durchwühlt seine Hosentaschen.
»Mann, weiß ich doch nicht! Sie sind doch der Bulle. Haben Sie mal Feuer?«
»Hör zu, Freundchen. Wenn du jetzt mal scharf nachdenkst, ob irgendjemand sich bei dir nach Sandra Kovács erkundigt hat, hab ich eventuell das Wort ›Bulle‹ nicht gehört. Alles klar? Und es wäre gut, wenn du schnell denkst, ich hab nämlich keine Lust, mich länger als nötig in diesem Schweinestall aufzuhalten.«
Fabian knetet den Zigarettenstummel zwischen Daumen und Zeigefinger und scheint tatsächlich nachzudenken.
»Der Gerlach war mal da. Keine Ahnung, wie der mich gefunden hat.«
»Der Gerlach? Nur der Gerlach? Keine Leute, die ihr irgendwas vertickern wollten?«
»Nein, Mann! Und warum sollen die ausgerechnet bei mir gewesen sein, wenn die Sandra suchen? Das macht doch überhaupt keinen Sinn!«
Stimmt, es macht keinen Sinn, das muss sich auch Kalz eingestehen. Was hatte er erwartet? Eine Liste mit Namen, Adressen, Telefonnummern, darunter jede Menge mit einer tschechischen Vorwahl? Die unruhige Nacht im Keller und der Krach mit Monika gehen ihm offenbar doch mehr an die Nieren, als er es
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