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Blauwasserleben

Blauwasserleben

Titel: Blauwasserleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Dorsch
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neben uns stand. Ich hatte zuvor beobachtet, wie er auf
dem Sattel seines Fahrrads ein Brett platziert hatte, auf dem fünf, sechs
Tomaten lagen. Nachdem der Mann in das Polizeiauto gezerrt worden war, fiel das
Fahrrad um, die Tomaten kullerten über die staubige Straße. Niemand wagte das
Fahrrad aufzuheben, jeder ignorierte die Tomaten. Alle hatten das Geschehen
genau beobachtet, doch niemand wollte mit ihm in Verbindung gebracht werden.
Schließlich trat ich auf einen Mann zu, der am wenigsten Scheu erkennen ließ,
mit mir zu reden.
    Â»Das war aber eine komische Szene«, sagte ich auf Spanisch. »Was ist
da passiert?«
    Im ersten Moment wusste der Angesprochene nicht, ob er mit mir reden
sollte. Offensichtlich war ich ja eine Touristin. Als er mir antwortete, gingen
wir hintereinander; in seiner Furcht blieb er nicht ein einziges Mal stehen.
    Â»Wahrscheinlich hatte der Mitgenommene keine Lizenz«, erklärte er.
    Â»Eine Lizenz? Wofür brauchte er denn eine?«
    Â»Na ja, für seine fünf Tomaten.«
    Â»Für fünf Tomaten?«
    Â»Es geht nicht um die Menge. Das, was er betrieben hat, war ein
Privatgeschäft.«
    Â»Und was geschieht nun mit dem Mann?«
    Â»Der kommt für ein halbes Jahr in den Knast.«
    Sechs Monate Gefängnis für fünf Tomaten! Ich wollte nicht wissen,
wie die Haftanstalten auf Kuba aussahen. Für mich war unverständlich, dass das
Vorgehen des Mannes angesichts einer solch geringen Anzahl von Früchten ein
kriminelles Vergehen sein sollte. Wahrscheinlich hatte er sie nur geerntet von
seinen eigenen drei Pflänzchen, die man ihm für den Eigenverzehr erlaubt hatte
anzubauen.
    Wir hatten uns vorgenommen, Kuba so kennenzulernen, wie es war, wenn
man nicht All-inclusive-Ferien im Varadero-Gebiet machte, ein Touristengetto
östlich von Havanna mit einer Schranke davor, die Kubaner nur dann passieren
dürfen, wenn sie in den Hotelanlagen tätig sind. Und wir sollten das wahre Kuba
kennenlernen, nicht nur durch die Episode mit dem Tomatenverkäufer.
    Wir tranken die Fruchtsäfte auf der Straße, aßen Peso-Pizza – sie
hieß tatsächlich so und kostete drei Pesos, eigentlich nur ein Brotteig, der
vor Fett triefte. »Das ist ungesünder als McDonald’s«, sagte Stefan, nachdem er
sie aufgegessen hatte. Es gab auch helle Brötchen mit einer Art Spanferkel,
dochdie Scheibe Braten war so hauchdünn, dass jede
Seidenstrumpfhose blickdichter war. Weil es aber gut schmeckte, überredeten wir
die Verkäufer, einfach drei Scheiben in ein Brötchen zu legen und bezahlten für
drei Burger.

    Drei Monate blieben wir auf Kuba. Unser erstes Visum
hatten wir für vier Wochen bekommen, und um neue Visa zu erhalten, mussten wir
aus- und wieder einreisen. So segelten wir in einer Nacht zu den Cayman
Islands, die als Offshore-Finanzplatz bekannt sind, die meisten der weltweit
operierenden Hedgefonds waren hier registriert. Neben den Meeresströmungen
flossen hier also Geldströme, die keiner mehr verstand und die mit schuld an
der Finanzkrise 2008 waren. Die Cayman Islands sind britisches Überseegebiet –
wobei uns die drei Inseln weniger englisch und mehr amerikanisch vorkamen.
Alles war nur in Übergröße zu bekommen, auch die Lebensmittelpackungen. Ein
seltsames Gefühl, immerhin kamen wir gerade von einer Insel, auf der man für
eine Handvoll Reis anstehen musste. Und keine zweihundert Kilometer Luftlinie
entfernt gab es eine Welt, in der alles im Überfluss vorhanden war. Einen
größeren Gegensatz in so kurzer Zeit hatten wir noch nie erlebt.
    Es fing schon bei der immensen Werbung auf den Cayman Islands an
(die es auf Kuba nicht gab, abgesehen von Propagandaplakaten von Che Guevara
oder Fidel Castro) und zog sich weiter bis zu den Radionachrichten: »Guten
Morgen, liebe Hörer, heute haben wir wieder 20   000 Besucher mehr auf den
Caymans, denn nun liegen sieben Kreuzfahrtschiffe in unserem Hafen.« Danach
folgten – wir waren auf Grand Cayman, der größten der drei Inseln, in der
Hauptstadt George Town – Staumeldungen. Auf Grand Cayman hätte man bequem und
gemütlich mit dem Fahrrad fahren können, da die Insel sehr flach und gerade
vierzig Kilometer lang ist. Doch nein. Autostau, weil auf der einzigen
Hauptstraße der Insel zu viele Menschen in klimatisierten Hummer-Geländewagen
oder in einem Porsche saßen. Keiner lachte einen an,

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