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Blauwasserleben

Blauwasserleben

Titel: Blauwasserleben
Autoren: Heike Dorsch
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Als er damit fertig ist, erklärt er: »Ich gehe zum Boot und hole das
Geld. Wenn ich wiederkomme, gehen wir zu den anderen, zu Stefan.«
    Als er fort ist, fange ich augenblicklich an, mich zu bewegen, reibe
die Plastikschnüre am Baum. Versuchen Gefangene in Filmen nicht immer genau
das: sich ihrer Fesseln durch Reiben an einem Gegenstand zu entledigen?
    Plötzlich steht Arihano wieder vor mir, fährt mich auf Französisch
an, ohne dass ich ein Wort verstehen kann. Ich erschrecke furchtbar, weil er
völlig unbemerkt von mir aufgetaucht ist. Er zieht die Fesseln strammer.
    Danach geht er ein zweites Mal weg. Ich muss mir Zeit lassen. Darf
keine Bewegungen machen, die Geräusche hervorrufen, bis er tatsächlich weiter
entfernt ist. Geduld, Heike, Geduld. Du hast genügend Zeit, wenn er jetzt erst
einmal zur Baju paddelt.
    Zum Glück bin ich sehr gelenkig, kann mich so biegen, dass ich sehen
kann, wie er meine Hände festgezurrt hat. Mit meinem Daumen gelingt es mir,
einen Knoten zu lockern. Schließlich ist die rechte Hand befreit.
    Flucht – ich muss weglaufen. Ich darf dabei keinen Lärm machen,
obwohl das Unterholz trocken ist und bei jedem Schritt kracht. Das T-Shirt, das
muss ich mitnehmen. Das ist wichtig für eine DNA -Analyse.
Ich halte es in der linken Hand, an der noch die Fessel baumelt. Vorsichtig
mache ich ein paar Schritte. Wieder knackt das Unterholz. Es ist so trocken,
dass ich keinen einzigen lautlosen Schritt gehen kann. Bei jedem geringsten
Geräusch zucke ich zusammen und bleibe stehen. Wird er mich hören? Ist es
besser, mich zu verstecken? Renne ich einfach irgendwohin, kann es sein, dass
ich ihm in die Arme laufe. Andererseits: Verberge ich mich im Gebüsch, wird er
bestimmt mein panisches Atmen hören.
    Mit einem Mal scheint ein Lichtkegel auf und verschwindet wieder.
Ich renne panisch weiter und werfe das T-Shirt auf den Boden, ich will von dem
Typen nichts mehr in Händen halten. Auch die Reste der Fessel an meiner linken
Hand streife ich ab, sie zu spüren ertrage ich ebenfalls nicht mehr. Die
Sekunden, die das dauert, nehme ich mir.
    Â»Renn«, flüstere ich mir zu. »Renn um dein Leben, einfach drauflos.«
Und ich renne. Durch das Gestrüpp, durch die Dornen. In der Ferne höre ich die
Brandung, die Wellen schlagen gegen graue Felsen. Dort will ich hin. Die Dornen
schneiden meine Beine, meine Hose ist nur dreiviertellang. Schmerz spüre ich
keinen, ich sehe das Blut nicht, das an meiner Haut herunterrinnt. Ohne mich
umzublicken, laufe ich aufs Meer zu. Plötzlich bleibe ich stecken, ein Schuh
hat sich unter einem Baumstamm festgeklemmt. Ich ziehe meinen Fuß aus dem Croc,
renne mit einem Schuh weiter. Auch diesen verliere ich. Doch ich achte nicht
weiter darauf. Ebenso weiß ich nicht, ob ich verfolgt werde. Vor lauter Angst
traue ich mich nicht, mich umzudrehen. Ich will leben. Ich muss ans Meer.
    Die Brandung ist mein Wegweiser. In der Ferne höre ich ihr Rauschen.
Im Wald bin ich meinem Verfolger völlig ausgeliefert. Ich höre meinen eigenen
Atem. Immer schneller renne ich. Dabei versuche ich, den vielen Ästen
auszuweichen, doch in diesem Dickicht ist das kaum möglich. Ich ducke mich,
weiche nach links und nach rechts aus, immer wieder fliegen mir kleine Zweige
ins Gesicht.
    Die Brandung wird immer lauter. Das Gestrüpp lichtet sich ein wenig,
ich rieche den intensiven Duft von Limonen. Gestern hatten Stefan und ich eine
Wiese in der Nähe des Strands entdeckt, an der Limonenbäume wuchsen. Unzählige
grüne Limetten hatten daruntergelegen, reif, einfach zum Aufsammeln. Sobald ich
sie unter meinen Füßen spüre, habe ich das Schlimmste hinter mir. Von dort ist
das Wasser nicht mehr weit.
    Das Dunkel um mich herum ist jetzt nicht mehr ganz so schwarz. Mein
rechter Oberarm brennt, ein Dorn hat sich tief in meiner Haut festgehakt und
eine Wunde hinterlassen. Weiter. Nur weiter. Plötzlich berühren meine Fußsohlen
die Schalen der Zitrusfrüchte. Dazwischen Gras. Es ist jetzt leichter,
voranzukommen, keine Äste versperren mir den Weg. Dann sehe ich etwas Helles
vor mir. Das muss der Strand sein, der sich von dem fast schwarzen Meer abhebt.
Meine Augen sind auf eine weiße runde Boje gerichtet, die die Bootseinfahrt
markiert. Sie leuchtet richtig. Rechts und links von der Boje sind
Korallenbänke, hier kann ich nicht ins Wasser. Aber bei der Einfahrt. Als ich
dort ankomme,
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