Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
bleiben.«
»Du willst hier bleiben?« Er verzog die Lippen. »Du hast keine Angst davor, dass ich dich töten könnte?«
»Das hast du schon«, erinnerte ich ihn. »Im Dunklen Park. Diese Aufregung hab ich hinter mir.«
Aber er war todernst. »Du solltest Angst vor mir haben.«
»Du wirst mir nichts tun.«
»Würdest du dein Leben darauf verwetten?«
»Ja.« Ich hatte keine Angst um mich, aber um Rosalee.
Er war erstaunt, weil ich ohne zu zögern geantwortet hatte. Seine Kälte schmolz dahin, und er sah nur noch verwirrt aus.
Und dann piepte sein Handy.
Er sah erst sein Handy nachdenklich an, dann mich. »Ich muss gehen.«
»Dann geh. Ich bleibe hier.«
»Ma wird dich rauswerfen, wenn sie dich hier erwischt«, sagte er ungeduldig.
»Sie wird mich nicht erwischen. Dein Dad auch nicht.«
»Er ist bei der Arbeit. Um den mach ich mir keine Sorgen.«
»Machst du dir Sorgen um mich?«
Diese Frage schien ihn total zu verärgern. Er sprang auf die Füße. »Na gut, dann komm, wenn du willst. Ich kann hier nicht den ganzen Tag rumsitzen.«
Er schmuggelte mich rauf und brachte mich durch den Flur, an Seras heiserem Gesang und dem Jaulen des Staubsaugers vorbei.
Aber kaum, dass ich sicher in seinem Zimmer war, ignorierte er mich und sammelte Messer und einen neuen Pack Karten mit Glyphen von dem Regal neben seinem Schreibtisch ein und stopfte sie sich in diverse Taschen. Dann schnappte er sich den grünen Jagdmantel, den ich ihm gemacht hatte, und schlüpfte rein. Er passte ihm perfekt.
Ich versuchte wieder, ihn zu umarmen, aber er stieß mich weg. Wieder. Warum stießen mich immer alle Leute weg?
»Fass mich nicht an.« Er flüsterte, weil Sera in der Nähe war. »Wie kannst du mich nur anfassen wollen?«
»Ich habe gesehen, was passiert ist, Wyatt. Petra hat dich darum gebeten. Ich wünschte, ich hätte so viel Mut, jemanden zu bitten, mich von meinem Elend zu befreien.«
»Welches Elend?«, rief er. »Du hast null Probleme, Hanna. Du kannst alles tun, was du willst. Du musst nie schwierige Entscheidungen treffen wie …«
Ich brach ganz fürchterlich in Tränen aus. Ich war sogar zu erschöpft, um mich dafür zu schämen. Zu erschüttert und ratlos darüber, was ich tun konnte, um Rosalee zu helfen. Ich hielt mir mein Taschentuch vors Gesicht, um mein Schluchzen zu dämpfen.
Wyatt stand eine ganze Weile unbehaglich und hilflos angesichts meiner Traurigkeit herum. Aber dann hatte er eine Idee.
»Hey. Schau. Schau, was ich für dich habe.« Er holte etwas von einer Kommode, aus der Kleider herausquollen wie halb gegessene Spaghetti. Er drückte es mir in die Hand – eine lila Geschenkpackung.
Ich schniefte und öffnete das Geschenk: eine silberne Kette, an der ein winziger Schwan – nicht größer als mein Daumennagel – baumelte.
»Das wollte ich dir schon an dem Tag in der Kirche geben«, erklärte er. »Aber dann wurde ich weggerufen, und …«
Ich hielt das Schwänchen gegen das Licht, das durch das Fenster schien, und sah zu, wie es glänzte. »Das ist süß.« Ich schniefte. »Wirklich süß, Wyatt.«
Er scharrte mit den Füßen und freute sich, obwohl er es nicht wollte. »Du hast mir gesagt, dass du Schwäne magst. Im Wagen letztens.«
Als ich ihn diesmal umarmte, stieß er mich nicht weg. Aber er umarmte mich auch nicht zurück. Er stand unbeweglich und steif und ruhig da. »Ich wünschte, du würdest das lassen«, flüsterte er. »Du solltest das nicht tun.«
Ich brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen. Komisch, dass er nicht verstand, wie sehr ich seine Fähigkeit bewunderte, das zu tun, was nötig war. Ich war total schlecht darin, das Richtige zu tun, besonders, wenn es schwierig oder schmerzhaft war.
Sein Telefon piepte wieder, und widerwillig löste er sich von mir. Aber er sah wieder mehr nach dem Jungen aus, den ich kannte, wenn auch sorgenvoller, als es mir lieb war.
Er verschwand, und ich blieb ruhig in seinem Zimmer und las den ganzen Morgen, vor allem Graphic Novels. Ich schwänzte die Schule, und ich würde sie ziemlich sicher auch morgen schwänzen, aber ich war eh viel weiter in allen Fächern als die anderen, sodass es mir wirklich egal war. Ich war nicht in der Stimmung, irgendjemandem zu begegnen.
Gegen zwei klopfte es an der Tür, und mein Herz blieb fast stehen. Aber es war nur Paulie in seinem Superman-T-Shirt. Er trug ein Tablett, das fast größer war als er selbst. Ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade, eine Handvoll Kartoffelchips, drei Kekse, ein
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