Bleib nicht zum Frühstück
besonders flottes Lied, und sie ermunterte Lynn, das Bügeln der von ihr gewaschenen Vorhänge zugunsten eines gemeinsamen Tanzes auf später zu verschieben. Dann ruhte sie sich auf der Veranda aus. Als das Geschirr vom Mittagessen wieder sauber in den Schränken stand, wandte sie sich der Gartenarbeit zu.
Ihre Armmuskeln schmerzten, als sie die Erde zwischen zwei Pflanzreihen jätete und mit einer Hacke das Unkraut ausgrub, das ihre kostbaren Bohnensetzlinge gefährdete.
Es war ein warmer Tag, und eigentlich hätte sie diese Arbeit am frühen Morgen erledigen sollen; aber Zeitpläne kümmerten sie nicht mehr. Am Morgen hatte sie zu viel damit zu tun gehabt, auf der Veranda zu liegen und mit ihrem Baby Zwiesprache zu halten.
Sie richtete sich auf und stützte sich auf den Griff der Hacke. Die warme Brise umfing den Rock des altmodischen Baumwollkleides, das sie trug, und schlang ihn sanft um ihre Knie. Vom vielen Waschen war der Stoff ausgebleicht und weich – einstmals Annies Lieblingsgewand.
Falls Ethan oder Kevin heute kämen, würde sie ihn vielleicht bitten, ihren Computer aus dem Wagen zu holen.
Oder auch nicht. Was, wenn sie gerade arbeitete und Rod Steward im Radio erklang? Vielleicht verpaßte sie dann eine Gelegenheit für eine flotte Sohle. Oder was, wenn neues Unkraut unter ihren Bohnensetzlingen wucherte und sie zu ersticken drohte, während sie sich in einer komplizierten Gleichung verirrte?
Nein. Arbeit war keine gute Idee, auch wenn Jerry Miles sicher hinter ihrem Rücken Ränke schmiedete zur Beendigung ihrer Karriere. Arbeit war keine gute Idee, solange es Unkraut zu zupfen und ein ungeborenes Baby zu hätscheln galt. Obgleich die Gesamtheitstheorie noch immer einen gewissen Reiz auf sie ausübte, widerstrebte ihr inzwischen der bürokratische Aufwand, der mit ihrer Tätigkeit verbunden war. Statt dessen blickte sie in den Himmel über den Bergen und ließ ihn die Grenzen ihres Daseins definieren.
So fand Cal sie vor. Im Garten, die Hand auf den Griff der Hacke gestützt, das Gesicht dem Himmel zugewandt.
Sein Atem stockte, als er sie in dem verblichenen Hauskleid in der Sonne stehen sah. Ihr Zopf hatte sich leicht gelöst, so daß ihr Kopf von einem Kranz blonder Strähnchen umgeben war. Sie sah aus, als wäre sie Teil des Himmels und der Erde, das verbindende Element dazwischen.
Schweiß und die leichte Brise hatten das Kleid an ihren Körper geklebt, so daß er die Konturen ihrer Brüste und ihres runden Bauchs, in dem sein Baby schlummerte, überdeutlich vor sich sah. Sie hatte die beiden obersten Knöpfe geöffnet, so daß unter dem entstandenen V-Ausschnitt feuchte, staubige Haut zutage trat.
Mit ihren braunen Gliedern, dem schmutzigen Gesicht und der feuchten Haut, die in Richtung ihrer Brüste wies, sah sie wie eine Frau der Berge aus, eine jener stoischen Kreaturen, die diesem kargen Boden selbst während der großen Inflation noch genug zum Leben abrangen.
Das Gesicht weiterhin der Sonne zugewandt, fuhr sie sich mit dem Arm über die Stirn, so daß dort ein schmutziger Streifen entstand. Sein Mund wurde trocken, als sich der Stoff ihres Kleides noch straffer über ihre kleinen, hohen Brüste spannte, als ihr sich immer stärker rundender Bauch nach vorne wölbte. Nie zuvor war sie ihm schöner erschienen als in diesem Augenblick, indem sie vollkommen ungeschminkt im Garten seiner Großmutter stand und ihr jedes ihrer vierunddreißig Lebensjahre deutlich anzusehen war.
Die Zeitung raschelte in seiner Hand, und hinter ihm wurde Annies Stimme laut. »Verschwinde von meinem Land, Calvin! Es hat dich niemand eingeladen!«
Jane ließ die Hacke fallen, als sie ihn in der Einfahrt erblickte.
Er drehte sich gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie sein Vater um die Ecke des Hauses geschossen kam. »Leg das Gewehr weg, du verrücktes altes Huhn!«
Seine Mutter erschien auf der Veranda und baute sich hinter Annie auf. »Tja, wenn das nicht rührend ist. Beinahe die gesamte Familie glücklich vereint!«
Die neue Lynn! Obgleich er mehrere Male bei ihr angerufen hatte, hatte sie sämtliche seiner Essenseinladungen abgelehnt, und ihre letzte Begegnung war inzwischen Wochen her. Was hatte sie nur? Dies war das erste Mal, daß er aus ihrem Mund einen sarkastischen Satz vernahm.
Schockiert bemerkte er, daß dies offenbar nicht die einzige Veränderung seiner Mutter darstellte. Statt eines ihrer teuren Ensembles trug sie ein Paar ungleichmäßig in Schenkelhöhe abgeschnittener
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