Bleib nicht zum Frühstück
für die Nachbarin ihrer Eltern, Dr. Jane Darlington.
Sie war keine Ärztin, sondern eine Dr. rer. nat., und Jodies Mom schwärmte ständig davon, was für ein wunderbarer Mensch sie sei, weil sie den Pulanskis, seit sie vor ein paar Jahren hierhergezogen waren, stets durch die manchmal notwendige Annahme ihrer Post und mit anderen Nettigkeiten behilflich war. Vielleicht half sie ihr ja jetzt auch mit ein wenig Kaffee aus?
Sie schminkte sich provisorisch, schlüpfte, ohne sich die Mühe zu machen, Unterwäsche anzuziehen, in ein Paar enger schwarzer Jeans, Willie Jarrells Trikot und ihre warmen Boots; dann machte sie sich, mit einer Tupperdose bewaffnet, auf den Weg.
Trotz des Schneeregens hatte sie keine Jacke angezogen, und bis Dr. Jane endlich an die Haustür kam, zitterte sie wie Espenlaub. »Hallo!«
Dr. Jane stand hinter der Tür und starrte sie durch eine altjüngferliche, überdimensionale, schildpattgerahmte Brille an.
»Ich bin Jodie, die Tochter der Pulanskis. Von nebenan.«
Immer noch machte diese Schachtel die Tür nicht auf.
»Hören Sie, hier draußen ist es verdammt kalt. Könnte ich vielleicht kurz reinkommen?«
Endlich öffnete die alte Jungfer ihr. »Tut mir leid. Ich habe Sie nicht erkannt.«
Jodie betrat das Haus, und bereits nach zwei Sekunden hatte sie erfaßt, weshalb Dr. Jane sie so zögerlich hereingelassen hatte. Irgendwie schwamm es hinter ihren Brillengläsern, und ihre Nase glänzte leuchtend rot. Wenn Jodie nicht infolge ihres Katers einem Trugschluß aufsaß, dann hatte sich Dr. Jane gerade die kurzsichtigen Augen aus dem Kopf geheult.
Die alte Jungfer war relativ groß, vielleicht einen Meter fünfundsiebzig, und Jodie mußte zu ihr aufblicken, als sie ihr ihr Bettelgefäß entgegenhielt. »Könnten Sie mir vielleicht ein paar Löffel Kaffee leihen? Wir haben nur noch koffeinfreien im Haus, aber der reicht mir heute morgen nicht.«
Zögernd nahm ihr Dr. Jane die Dose aus der Hand. Da sie Jodie nicht gerade als geizig bekannt war, bedeutete ihre Reaktion wahrscheinlich Ärger über diese Störung. »Ja, ich – mmh – ich hole Ihnen welchen.« Offensichtlich in der Erwartung, daß die unerwünschte Besucherin im Flur warten würde, zog sie los; aber bis zum Beginn der Spielvorschau hatte Jodie nichts zu tun, deshalb konnte sie ebensogut ihrer Nachbarin folgen und sich deren Behausung einmal ansehen.
Sie durchquerten ein Wohnzimmer, das auf den ersten Blick recht langweilig erschien: weiße Wände, bequeme Möbel und jede Menge trostlos wirkender Bücher im Regal. Jodie wollte gerade weitergehen, als ihr Blick auf die gerahmten Poster an den Wänden fiel. Sie schienen alle von derselben Person, einer Frau namens Georgia O'Keeffe, zu sein, und auch wenn Jodie zugegebenermaßen eine schmutzige Phantasie besaß, konnte dies nicht allein eine Erklärung dafür sein, daß sie in all diesen Blumen weibliche Geschlechtsorgane sah.
Unter den Blütenblättern kamen feuchte, verborgene, dunkle Höhlen zum Vorschein. Eins der Gemälde zeigte – Himmel! – eine Venusmuschel, in deren Innerstem eine kleine, feuchte Perle angedeutet war, und selbst der argloseste Mensch hätte da sicher zweimal hingeschaut. Sie fragte sich, ob die alte Jungfer vielleicht eine Lesbe war. Weshalb sollte sie sonst Gefallen daran finden, sich jedesmal, wenn sie ihr Wohnzimmer betrat, blumige Muschis anzusehen?
Jodie wanderte weiter in die lavendelfarben gestrichene Küche, vor deren Fenstern sich hübsche, ebenfalls blumenverzierte Vorhänge rüschten. Allerdings waren diese Blumen im Gegensatz zu denen auf den Postern im Wohnzimmer normal. Alles in der Küche wirkte fröhlich und aufgeräumt, abgesehen von ihrer Besitzerin, die Jodie würdevoller als der liebe Gott erschien.
In der maßgeschneiderten Hose mit den ordentlichen braun-schwarzen Karos und dem weichen, weizenfarbenen Pullover, der bestimmt Kaschmirqualität besaß, kam ihr Dr. Jane wie eine dieser adretten, langweiligen, mit Vorliebe Tweed tragenden Pomeranzen vor. Trotz ihrer Größe wies sie allerdings feine Knochen, wohlgeformte Beine und eine schlanke Taille auf. Abgesehen von den fehlenden Möpsen hatte sie eine geradezu beneidenswerte Figur.
In ihrem kinnlangen hellblonden Haar schimmerten flachs-, platin- und goldfarbene Strähnen, die es unmöglich aus der Tube gab. Allerdings hatte sie es zu einer dieser konservativen Frisuren arrangiert, in der sich Jodie noch nicht einmal tot hätte sehen lassen – es war lose aus der Stirn
Weitere Kostenlose Bücher