Bleib nicht zum Frühstück
selben Ort –, aber nun hatte er ein Kind gezeugt. Es fiel ihm nicht leicht, seine Beherrschung aufrechtzuerhalten. »Warum das mir? Sag mir, warum hat sie ausgerechnet mich gewählt?«
Hinter ihrer feindseligen Fassade zeigte sich abermals eine Spur von Angst. »Dieser Teil der Geschichte wird dir nicht gefallen.«
»Darauf wette ich!«
»Sie ist ein Genie. Und so viel cleverer als alle anderen zu sein, hat ihr die ganze Kindheit vermasselt. Natürlich wollte sie ihrem Baby so etwas ersparen, und deshalb war es so wichtig für sie, jemanden als Samenspender zu finden, der anders ist als sie.«
»Anders als sie? Was soll das heißen?«
»Jemanden, der… tja, jemanden, den man nicht unbedingt als Genie bezeichnen kann.«
Am liebsten hätte er sie geschüttelt, bis noch der letzte ihrer klappernden Zähne heraushüpfte. »Was zum Teufel willst du damit sagen? Warum hat sie ausgerechnet mich gewählt?«
Jodie sah ihn furchtsam an. »Weil sie denkt, daß du dämlich bist.«
»Die drei Protonen und die sieben Neutronen des Isotops sind ungebunden.« Jane hatte, während sie die Skizze an die Tafel zeichnete, den acht Studierenden ihres Graduiertenseminars – sechs Studenten und zwei Studentinnen – den Rücken zugewandt. »Zieht man vom Li ein Neutron ab, dann löst sich auch ein zweites. Li bleibt zurück und verbindet sich mit den beiden verbleibenden Neutronen zu einem Drei-Körper-System.«
Sie konzentrierte sich so stark auf die Darstellung der Komplexität von Neutronenringen in Lithiumisotopen, daß sie nicht das leise Gemurmel hinter ihr mitbekam.
»Li wird auch der Borromäische Kern genannt und…«
Sie hörte das Quietschen eines Stuhls, und endlich drang das Gemurmel an ihr Ohr. »Und…« Papiere raschelten, das Raunen ging weiter. Verwirrt drehte sie sich um.
Und erblickte Cal Bonner, der mit gekreuzten Armen, die Finger unter die Achseln geklemmt, an der Wand lehnte und grimmig herüberschaute.
Alles Blut rann ihr aus dem Kopf, und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, kurz vor einer Ohnmacht zu stehen. Wie hatte er sie gefunden? Was tat er hier? Einen Augenblick gab sie sich der aberwitzigen Hoffnung hin, daß sie in ihrer Berufsgarderobe eine Fremde für ihn war. Sie trug ein konservatives, doppelreihiges Wollkleid, und ihr Haar war zu eben dem Knoten zusammengesteckt, den sie immer während der Arbeit trug. Außerdem hatte sie ihre Brille auf – auch ein fremder Anblick für ihn. Doch offenbar hatte er sie sehr wohl erkannt.
Alle hielten die Luft an. Jeder schien ihn zu kennen, aber er achtete nicht auf die Reaktion der Studenten und Studentinnen, sondern sah nur sie.
Nie zuvor hatte ein Mensch sie mit einem derart vernichtenden Blick bedacht. Seine Miene verriet Mordlust, sein Mund war ein dünner, harter Strich, und als sie ihn ansah, schwebte sie auf einmal haltlos dahin wie der Kern des soeben von ihr beschriebenen Isotops.
Angesichts der neugierigen Zuschauerschaft mußte sie sich unverzüglich zusammenreißen, und da die Stunde erst in zehn Minuten vorüber war, hatte er unbedingt den Raum zu verlassen, damit der Unterricht ein ordnungsgemäßes Ende nahm. »Würden Sie bitte in meinem Büro warten, bis ich hier fertig bin, Mr. Bonner? Es liegt am Ende des Korridors.«
»Ich gehe nirgendwohin.« Zum ersten Mal seit seinem Auftauchen wandte er sich den acht Studierenden zu. »Die Stunde ist rum. Raus!«
Die jungen Leute standen eilig von ihren Plätzen auf, klappten ihre Blöcke zu und zogen ihre Mäntel an. Da sie nicht in aller Öffentlichkeit mit ihm streiten konnte, sah sie ihre Schützlinge so ruhig wie möglich an. »Ich war sowieso fast fertig. Am Mittwoch machen wir an der Stelle weiter, wo wir heute aufgehört haben.«
Innerhalb von Sekunden verließen die sechs jungen Männer und die beiden Kommilitoninnen den Raum, allerdings nicht, ohne die beiden noch ein letztes Mal überrascht zu mustern. Cal löste sich von der Wand, schloß die Tür und legte energisch den Riegel vor.
»Machen Sie die Tür wieder auf«, sagte sie sofort, denn die Aussicht darauf, mit ihm allein in diesem kleinen, fensterlosen Klassenzimmer eingesperrt zu sein, alarmierte sie.
»Am besten unterhalten wir uns in meinem Büro.«
Abermals lehnte er sich mit gekreuzten Armen und unter die Achseln geschobenen Fingern an die Wand. Seine Unterarme waren sonnengebräunt und muskulös. Einzig störte sie das Pochen einer dicken, blauen Vene, das nicht zu übersehen war.
»Am liebsten
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