Bleib nicht zum Frühstück
besser gefühlt«, mischte Cal sich ein. »Offenbar hat sie doch keine Grippe gehabt.«
Jane drehte sich weit genug herum, um ihn mit einem mitleidigen Blick zu bedenken — sie machte bei seinen Lügengeschichten nicht mit –, aber er tat, als bemerke er es nicht.
Jim nahm ein X-Man-Comic vom Tresen und sah es fragend an.»Hat das vielleicht der Buchclub geschickt?«
»Jane liest die Dinger, wenn sie sich entspannen will.
Möchtest du ein Bier, Dad?«
»Nein. Ich bin auf dem Weg ins Krankenhaus.«
Aus plötzlicher Sorge heraus unterdrückte Jane die bissige Bemerkung über die Comics, die ihr auf der Zunge lag.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Wie wäre es mit einem Sandwich?« fragte Cal allzu schnell. »Jane, mach Dad und mir ein paar Brote, ja?«
»Deinen Vater versorge ich gern. Du jedoch kümmerst dich am besten selber um deinen Appetit.«
Jim sah seinen Sohn mit hochgezogenen Brauen an, was Janes Meinung nach so etwa heißen sollte wie hast du nach all den Jahren keine bessere Frau abgekriegt?
Aber sie war niemand, der sich schnell geschlagen gab.
»Müssen Sie vielleicht zu einer Untersuchung hin? Ich hoffe, Sie sind nicht krank.«
Cal schoß vorwärts. »Von deinem Spaziergang hinüber zu Annie hast du ein bißchen Dreck auf der Backe, mein Schatz. Vielleicht gehst du jetzt nach oben und wäschst dir das Gesicht.«
»Ich weiß nicht, was an meiner Fahrt ins Krankenhaus so geheimnisvoll sein soll«, wunderte sich Jim. »Als Arzt muß ich einfach nach meinen Patienten sehen.«
Als sie erkannte, was für einen Fehler sie gemacht hatte, starrte sie ihn einen Augenblick lang reglos an. Dann fuhr sie zu Cal herum. »Dein Vater ist Arzt« Wie viele Leichen liegen noch im Keller deiner Familie rum?«
Während ihr eigenes Herz brechen wollte, sah er sie lächelnd an. »Ich weiß, du hattest auf einen Schwarzbrenner oder so gehofft, meine Liebe, aber heute ist leider nicht dein Glückstag. Obwohl, da fällt mir ein – Dad, hast du mir nicht mal erzählt, dein Uropa hätte irgendwo in den Bergen einen Destillierapparat versteckt?«
»Das hat zumindest dein Opa behauptet.« Jim sah Jane fragend an.»Warum interessiert dich das?«
Cal ließ sie nicht antworten, was auch gar nicht gegangen wäre, denn sie hatte einen so dicken Kloß im Hals, daß sie kurz vor dem Ersticken war. »Jane besitzt ein Faible fürs Hinterwäldlertum. Sie selbst ist durch und durch Städterin; aber sie liebt alles, was mit dem Landleben zusammenhängt, und war wirklich enttäuscht darüber, daß man hier sogar Schuhe trägt.«
Jim lächelte. »Ich kann meine gerne ausziehen, wenn es dir gefällt.«
Mit einem Mal ließ sich eine weiche Südstaatenstimme aus der Diele vernehmen. »Cal, wo bist du?«
Er stieß einen resignierten Seufzer aus. »In der Küche, Mom.«
»Ich kam gerade zufällig vorbei, und da sah ich das Tor offenstehen.« Wie Cals Vater wirkte auch die Frau, die plötzlich im Türrahmen stand, viel zu jung für einen sechsunddreißigjährigen Sohn; außerdem war sie für Annie Glides Tochter überraschend elegant. Hübsch, schlank und stilvoll gekleidet, trug sie ihr hellbraunes Haar in einem modischen Kurzhaarschnitt, wodurch ein Paar leuchtend blauer Augen vorteilhaft zur Geltung kam. Mögliche erste graue Strähnen überdeckte eine dezente Tönung. Zu ihrer schmal geschnittenen schwarzen Hose trug sie eine lockere, traubenfarbene Fleecejacke, an deren Kragen eine Silberbrosche befestigt war. Im Vergleich zu ihr kam sich Jane mit ihrem schmutzigen Gesicht und dem wirren, mit Blättern angereicherten Haar richtiggehend schlampig vor.
»Du bist sicher Jane«, sagte die elegante Erscheinung und gab ihr spontan die Hand. »Ich bin Lynn Bonner.« Ihre Begrüßung war herzlich, aber trotzdem hatte Jane den Eindruck einer gewissen Reserviertheit. »Hoffentlich fühlst du dich wieder besser. Cal hat gesagt, daß dir das Wetter zu schaffen macht.«
»Danke, es geht mir gut.«
»Sie ist vierunddreißig«, verkündete Jim, der immer noch neben dem Tresen stand.
Lynn wirkte überrascht, doch dann lächelte sie. »Das freut mich.«
Jane fand Lynn Bonner sympathisch. Jim setzte sich auf einen der Barhocker und streckte die Beine aus. »Cal sagt, daß sie ein Faible für Hinterwäldler hat, also wird sie von dir sicher ganz begeistert sein, Amber.«
Jane fiel auf, daß Cal verwirrt zu seinem Vater sah. Jim Bonners Stimme hatte einen leicht überheblichen Ton, der ihr zuvor nicht aufgefallen war, aber seine Frau
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