Bleib nicht zum Frühstück
reagierte nicht darauf. »Sicher hat Cal dir erzählt, daß wir erst vor zwei Tagen von einem Ärztekongreß zurückgekommen sind. Wir haben ihn mit einem kurzen Urlaub verbunden.
Es war wirklich schade, daß du dich gestern abend nicht wohl genug gefühlt hast, um mit zu uns zum Essen zu kommen. Aber das holen wir am Samstag nach. Jim, wenn es nicht regnet, könntest du ja grillen.«
Jim kreuzte die Beine. »Tja, Amber, da Jane ja offenbar rustikale Ambitionen hat, ist irgendeine Glidesche Spezialität vielleicht passender. Wie wäre es mit Bohnen und Räucherspeck, oder mit dem Pökelfleisch, das deine Mama früher immer gemacht hat? Hast du je in deinem Leben Pökelfleisch gegessen, Jane?«
»Also, ich glaube nicht.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Jane darauf allzu versessen ist«, meinte Lynn gedehnt. »Heutzutage ißt niemand mehr Pökelfleisch.«
»Vielleicht könntest du es ja wieder in Mode bringen, Amber? Du könntest es all deinen eleganten Freundinnen empfehlen, wenn du sie auf deiner nächsten Wohltätigkeitsveranstaltung in Asheville triffst.«
Cal starrte seine Eltern an, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. »Seit wann sagst du Amber zu Mom?«
»So heißt sie schließlich«, antwortete Jim.
»Annie nennt sie so, aber du doch nicht!«
»Wer sagt, daß man manche Dinge nicht ändern darf?«
Cal blickte zu seiner Mutter hinüber, aber sie sagte nichts. Unbehaglich wandte er sich ab und öffnete die Kühlschranktür. »Seid ihr sicher, daß niemand ein Sandwich will? Wie steht's mit dir, Mom?«
»Nein, danke.«
»Pökelfleisch ist ein Teil der Glideschen Familientradition«, beharrte Jim, denn offenbar war er zu einem Themenwechsel noch nicht bereit. »Das hast du doch wohl nicht vergessen, oder, Amber?« Er bedachte seine Frau mit einem derart kühlen Blick, daß Jane Mitgefühl mit ihr empfand. Sie wußte genau, wie es war, einer solchen Kälte ausgesetzt zu sein. Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sich Jim an Jane. »Pökelfleisch ist ähnlich wie Würstchen, Jane, nur eben aus Schweinskopf. Natürlich nimmt man vorher die Augen raus.«
Lynn setzte ein steifes Lächeln auf. »Es ist wirklich widerlich. Ich weiß nicht, wie meine Mutter je auf den Gedanken kam, Pökelfleisch zu machen. Übrigens habe ich eben via Handy mit ihr telephoniert und von ihr erfahren, daß es dir bessergeht. Sie scheint dich bereits ins Herz geschlossen zu haben, Jane.«
»Ich habe sie ebenfalls sehr gern.« Jane war genauso erpicht auf einen Themenwechsel wie ihre Schwiegermutter.
Nicht nur die Spannung zwischen Cals Eltern irritierte sie, obendrein kämpfte sie in letzter Zeit des öfteren mit Übelkeit, so daß sie nicht sicher war, ob sie ein Gespräch über Augäpfel und Schweinsköpfe noch lange ertrug.
»Cal hat uns erzählt, daß du Physikerin bist«, sagte Lynn.
»Respekt!«
Jim erhob sich von seinem Platz. »Meine Frau hat die High-School abgebrochen, und deshalb schüchtern gebildete Menschen sie manchmal ein.«
Lynn wirkte nicht im geringsten eingeschüchtert, und Jane fand Jim Bonner wegen seiner alles andere als subtilen Seitenhiebe gegen seine Gattin allmählich unsympathisch. Seine Frau mochte bereit sein, über seine Unhöflichkeit hinwegzusehen, aber sie nähme sein Verhalten nicht so widerspruchslos hin. »Es gibt keinerlei Grund, eingeschüchtert zu sein«, vermittelte sie ruhig. »Manchmal weisen gerade Leute ohne Erziehung ein erstaunliches Maß an Bildung auf. Aber warum sage ich Ihnen das, Dr. Bonner? Das haben Sie doch bestimmt selbst schon oft bemerkt.«
Zu ihrer Überraschung lächelte er mit einem Mal. Dann glitt seine Hand unter den Kragen des Mantels seiner Frau, und er rieb ihr den Nacken mit der Vertrautheit eines Menschen, der so etwas seit nunmehr beinahe vierzig Jahren tat. Die Vertrautheit dieser Geste machte Jane bewußt, daß sie sich hier auf fremdem Terrain befand, und sie wünschte, sie hätte nichts gesagt. Was auch immer für Eheprobleme die beiden miteinander hatten, fochten sie sie sicher bereits seit Jahren aus, und mittlerweile stand ihr ja selber das Wasser bis zum Hals.
Jim löste sich wieder von seiner Frau. »Ich muß los, sonst komme ich zu spät zur Visite.« Er wandte sich an Jane, drückte ihr freundlich den Arm und sah seinen Sohn lachend an. »Es hat mich gefreut, dich kennengelernt zu haben, Jane. Bis morgen, Cal.« Seine Zuneigung zu Cal war offensichtlich, aber seine Frau sah er beim Verlassen der Küche nicht einmal an.
Cal
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