Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
Abstand zu folgen.
Angespannt saß sie hinterm Steuer, ihre kurzen Fingernägel gruben sich in die Lederhülle. Die Schmerzen in ihrem Körper ignorierte sie einfach. Es fiel ihr nicht schwer. Nicht nach dem, was sie in seinem Kofferraum gesehen hatte.
Dafür werden wieder die anderen büßen. Was er damit gemeint haben könnte, war so weit jenseits von allem Vorstellbaren, dass sie lieber nicht darüber nachdenken wollte. Sie sah die Füße im Kofferraum vor sich, und irgendwie sorgte dieser Anblick dafür, dass sie trotz aller Schmerzen, trotz aller Schrecken wie eine Maschine funktionierte.
Schalten, bremsen, Gas geben, blinken. Und sich auf die roten Lichter seines Wagens konzentrieren, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.
Er fuhr in eine einsame Gegend. Nur vereinzelt schwebten noch erleuchtete Fenster in der Dunkelheit. Dank der geschlossenen Schneedecke war es selbst bei dem bewölkten Himmel möglich, den Wagen zumindest als Umriss auf einige Entfernung zu erkennen. Nicola war noch nie in dieser Gegend gewesen und versuchte verzweifelt, sich zu merken, wo sie in welche Richtung abbog.
Hier gab es nichts, woran sie sich hätte orientieren können. Nur weite, hügelige Landschaft mit ausgedehnten dunklen Tannenwäldern, dazwischen eingestreut Äcker und Wiesen. Wenn sie doch wenigstens durch eine Ortschaft fahren würden, dann könnte sie sich deren Namen merken.
Weit vor ihr sah sie den Wagen auf einer freien Kuppe, dann bog er plötzlich nach links ab und verschwand.
Panik übermannte Nicola.
Sie durfte ihn nicht verlieren!
Wegen der anderen, an deren Leid sie schuld war.
Sie gab Gas. Viel zu stark. Auf der schneeglatten Landstraße geriet ihr kleiner Wagen ins Schlingern. Mit hektischen Bewegungen kurbelte sie am Lenkrad und verschlimmerte dadurch alles. Der Wagen brach nach rechts aus, holperte mit den Vorderrädern übers Bankett und rutschte zur Seite. Nicola klammerte sich ans Lenkrad und schrie. Die Motorhaube senkte sich vor ihr ab, und plötzlich sah sie nur noch Schnee. Ein heftiger Ruck, dann stand der Wagen. Der Motor erstarb, weil sie einfach das Kupplungspedal losließ.
Die Scheinwerfer strahlten in eine Schneewehe und brachten die Kristalle zum Glitzern.
Nicola atmete ein paarmal hektisch ein und aus, dann löste sie den Gurt, stieß die Tür auf, wollte aussteigen und fiel dabei in einen knietiefen, mit Schnee gefüllten Graben. Mühsam krabbelte sie daraus hervor, und als sie endlich auf der Landstraße stand, fühlten sich ihre Finger taub an von der Kälte.
Ohne zu zögern lief sie die Kuppe hinauf und visierte dabei die Stelle an, an der der Wagen so plötzlich verschwunden war. Sie musste fünf Minuten laufen, bevor sie dort ankam.
Es gab eine Kreuzung dort oben auf der Kuppe. Die Spuren des Wagens führten nach links den Hang hinab. Sie folgte ihnen, doch bereits nach hundert Metern war er abermals abgebogen. Diesmal nach rechts. Ein schmaler Stichweg, als Straße gar nicht zu erkennen, führte weiter bergab in eine bewaldete Senke. Dort unten war es trotz des Schnees stockdunkel; Nicola konnte überhaupt nichts erkennen.
Das Einzige, was sie deutlich sah, war das Schild.
Schwer atmend zog sie mit ihren tauben Fingern ihr Handy hervor und versuchte, die winzigen Tasten zu bedienen. Die Akkuladeanzeige blinkte rot.
Sie hatte vielleicht noch Strom für ein Gespräch.
Vielleicht.
Miriam stand am Rande des Schwimmbeckens, die Hand mit dem Schraubenzieher weit vor sich gestreckt und beobachtete die Tür zu den Umkleideräumen.
Sie war sich absolut sicher, hinter dieser Tür ein Geräusch gehört zu haben. Es hatte so geklungen, als sei irgendwo im Gebäude eine Tür zugeschlagen.
Schweiß brach ihr aus, und die Hand, die den großen Schraubenzieher hielt, begann zu zittern. Sie spürte, dass sie einer Panik nahe war, denn sie hatte nicht mit ihm gerechnet. Und sie spürte auch, dass sie ihm in einem direkten Kampf nicht gewachsen sein würde, nicht in ihrem derzeitigen Zustand. Ihr Selbstvertrauen war am Boden zerstört, sie hatte Angst, tiefe lähmende Angst, sie wollte auf keinen Fall nochmals von ihm mit dieser entsetzlichen Flüssigkeit übergossen werden.
Ihr Blick flog hin und her.
Was konnte sie tun?
Die andere Tür!
Sie lief hinüber und betätigte die Klinke. Verschlossen.
»Scheiße! Verdammte Scheiße!«
Tränen rannen ihr über die Wangen.
Sie eilte zu der Wand hinüber, an deren oberem Ende sich die Lichtleiste befand. Die schmalen Fenster befanden
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