Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
trugen Perücken. Seltsamerweise war das Haar strahlend weiß.
Nicola starrte die Szenerie an. Sie war erleichtert, sich doch getäuscht zu haben – und verstand rein gar nichts.
Was tut er hier?
Was soll das?
Sie trat einen Schritt zurück, drehte sich im Kreis und sah sich in der großen Doppelgarage um. Hier drinnen hatte nie ein Auto gestanden. Der mit grüner Ölfarbe gestrichene Fußboden war makellos. Die weißen Wände warfen das mittlerweile grelle Licht der Leuchtstoffröhren so intensiv zurück, als würden sie aus sich selbst heraus strahlen. Der Tapetentisch stand mitten in der Garage und teilte sie quasi in zwei Hälften.
An der Wand gegenüber dem elektrischen Tor befand sich ein Werkstatttisch aus Metall mit einer hölzernen Arbeitsplatte. Sorgfältig sortiert hing allerlei Werkzeug an der Wand darüber; es wirkte nagelneu, so als sei es noch nie benutzt worden.
Jenseits des Tapetentisches war die Wand verdeckt von einem langen weißen Metallregal. In den einzelnen Fächern lagerte eine Vielzahl von Aktenordnern, alle mit demselben Rücken beklebt, sodass sich eine ununterbrochene grüne Linie von rechts nach links zog.
Nicola ging hinüber und zog einen Ordner heraus.
Darin befanden sich Geschäftsunterlagen.
Sie wollte ihn eben zuklappen und zurückstellen, als sie meinte, auf dem Hof ein Geräusch zu hören. Es klang, als würde eine Autotür leise zugeschlagen. Vor Schreck fiel ihr der Ordner aus der Hand und landete mit einem lauten Krachen auf dem Fußboden.
Nicola erstarrte mit Blick auf das geschlossene, fensterlose Garagentor. Dabei fiel ihr ein, dass ihr Mann in seinem Wagen einen Funksender hatte, mit dem er das Tor öffnen konnte.
Lauf ins Haus , schrie sich Nicola wortlos zu, doch sie war unfähig, sich zu bewegen.
Minutenlang stand sie so da und lauschte. Erst als sie sicher sein konnte, sich getäuscht zu haben, bückte sie sich, um den Ordner aufzuheben. Dabei fielen ihr die sechs blauen Kunststoffkanister auf, die nebeneinander im untersten Fach des Regals lagerten. Sie stellte den Ordner zurück, bückte sich erneut und zog einen der Kanister hervor. Er war schwer. Sie musste all ihre Kraft aufwenden. Am oberen rechten Rand befand sich eine geprägte Markierung, die verriet, dass der Kanister fünfzehn Liter Flüssigkeit fasste. Was er allerdings enthielt, fand Nicola nicht heraus, denn das Etikett war abgezogen worden. Dass es eines gegeben hatte, dafür sprachen die Klebstoffreste auf der Vorderseite.
Nicola überlegte, ob sie den Deckel aufschrauben und daran riechen sollte, entschied sich aber dagegen. Sie schob den Kanister in die Reihe zurück und erhob sich.
Gerade wollte sie sich von dem Regal abwenden, als sie aus dem Augenwinkel etwas bemerkte, das ihr Interesse weckte.
Ganz hinten, nahe der Rückwand der Garage, standen drei silbrig glänzende, hohe Gefäße auf dem obersten Fach des Regals. Nicola ging hinüber. Sie kannte diese Gefäße. Es handelte sich um die Aluminiumschalen, in denen der Partyservice die Salate für die Weihnachtsfeier im Büro geliefert hatte. Nicola hätte sie eigentlich zurückbringen müssen und hatte sogar ein Mahnschreiben deswegen erhalten. Da sie selbst nicht auf der Feier gewesen war, hatte sie ihren Mann danach gefragt, doch der hatte nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass die Dinger ihn nicht interessierten.
Hineinsehen konnte Nicola nicht, dafür standen die Schalen zu weit oben. Sie drückte sich auf Zehenspitzen hoch, griff nach dem Rand der rechts stehenden Schale und zog sie hervor.
Plötzlich wurde der leicht süßliche Geruch, den sie schon gar nicht mehr wahrgenommen hatte, wieder intensiver.
In der Schale lag ein Knochen.
Ein dicker weißer Knochen, so sauber, als wäre niemals Fleisch daran gewesen.
Allerdings klebte er in einer angetrockneten, nicht zu identifizierenden, stinkenden Masse, die früher vielleicht einmal Fleisch gewesen war.
Um zwölf Uhr trafen sie sich im Besprechungsraum 1 des Polizeipräsidiums.
Neben Eckert Glanz war Holger Sälzle anwesend, der neue Kollege, der aus Ulm hierherversetzt worden war.
Holger Sälzle war eins neunzig groß, schlank, hatte kurzes schwarzes Haar und dunkle Augen. Er trug einen dunkelgrauen Anzug ohne Krawatte. Er war erst ein paar Tage im Präsidium und durchlief gerade die verschiedenen Abteilungen, doch wegen der Personalnot war damit erst einmal Schluss. Er würde solange beim Team bleiben, bis der Fall erledigt war. Nele wusste nicht, warum er
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