Bleiernes Schweigen
jemanden den Strohmann macht. Das behauptet auch Baldacci. Zuerst die Capobiancos über die Schweizer, später die Cosa Nostra mit Violas Investment im Norden, das nach seinem Tod zurückgeholt wird. Doch bei der Danae reißt der Faden ab.«
»Und das nur wegen Rossini«, sagt Andrea, ohne sich zu rühren. Nur sein Blick geht ein wenig mehr in meine Richtung. Ich brauche einen Moment, ehe ich seinen Standpunkt begreife und etwas entgegnen kann.
»Rossini stammt aus einer umbrischen Familie«, antworte ich, »die nach dem Krieg stinkreich geworden ist und kurz davor stand, alles wieder zu verlieren, als sie ihre Geschäfte in den Norden verlagert hat. In seiner Heimat gehört ihm so gut wie alles. Ein typischer Krösus, der nach dem frühen Tod des Vaters alles erbt und beschließt, den großen Sprung zu wagen. Er ist gutaussehend, ledig, elegant, gebildet und erfolgreich. Im Job und bei den Frauen. Er ist der einzige Unternehmer dieses Formats, der unversehrt aus Tangentopoli herausgekommen ist. Er hat weder einen Cent von den Semprinis genommen, noch von den Enimont-Schmiergeldern profitiert, nicht einmal einen Ermittlungsbescheid hat er bekommen. Sogar seinen Lebensstil hat er geändert: Seit er verheiratet ist, lässt er sich auf keinen Fest mehr blicken, ist aus der Klatschpresse verschwunden, hat sich der Kirche zugewandt, tritt nur noch zu offiziellen Anlässen in Erscheinung und scheint auf keinerlei Amt erpicht zu sein. Den Vorsitz der Confindustria hat er abgelehnt.«
Ich mache eine Pause und blicke in die Runde.
»Wie kann ich glauben, dass die Perseo das Geld der Mafia mit sich herumschleppt wie das eines stillen Teilhabers, den man nicht loswird, wenn der Mann an der Spitze Luca Rossini heißt? Einer, der sich die Legalität seit jeher auf die Fahnen geschrieben hat, in jedem Moment seines öffentlichen und unternehmerischen Lebens. Wenn man die Menschenheute fragte, wer am stärksten für den Kampf gegen die Korruption steht, würden fast alle seinen Namen nennen.«
Andrea stützt die Ellenbogen auf den Tisch, sieht auf sein Handy und seufzt.
»Redest du mit uns oder mit dir selbst?«
Ich will etwas erwidern, aber mir fehlen die Worte. Ich brauche eine Zigarette. Andrea hält mir eine hin, ich zünde sie an und stehe auf. Meine Gedanken brauchen Platz. Ich höre Andrea zu, während ich durchs Fenster das Gewusel der Autos ein paar Stockwerke unter mir beobachte.
»Jeder schickt uns auf eine Zeitreise in die Vergangenheit, doch je mehr wir uns nähern, desto brüchiger wird der rote Faden. Wenn Borsellino stirbt, weil der Staat einen neuen Pakt mit der Cosa Nostra schmiedet, wie sieht dieser Pakt dann aus? Wer steckt dahinter? Wer hat wem was geboten? Was hat Marsigli damit zu tun, der politisch überhaupt keine Rolle spielt und den die Perseo sofort an die Luft gesetzt hat, sobald ein bisschen zu viel geredet wurde? Und was hat die Perseo mit der Politik zu tun?«
Ein Kind überquert an der Hand eines jungen Mädchens die Straße. Die große Schwester. Der Babysitter.
»Sag du’s mir, Andrea. Du solltest es wissen.«
»Alles, was ich weiß, weißt du auch. Nach Falcones Tod gab es eine Verbindung. Und mittendrin stirbt Borsellino.«
»Bullshit.«
Ich drehe mich um.
Mit verschränkten Armen sitzt Adriano da, wütend und fast verächtlich schleudert er die zwei Silben heraus.
»Bullshit.«
Andrea lacht. Die hysterische Reaktion eines Mörders kurz vor der Tat.
»Es ist schön, jemanden zu treffen, der sich seiner Sache so gewiss ist«, sagt er.
Mein Vater legt die Hände auf die Räder seines Rollstuhls.
»Hör mal, es waren deine Freunde, die Bescheid wussten.Vielleicht bist du schlecht informiert und die haben dir nicht gesagt, was abging. Es waren deine Leute, die mich mit Elena nach Palermo geschickt und dafür gesorgt haben, dass wir an diesem 19. Juli dort waren. Es waren deine Leute, die den Eindruck vermittelt haben, sie wüssten genau, was passieren würde. Die Frau, die wir getroffen haben, wusste es, Elenas Informant wusste es, mein Informant wusste es. Aber ihr streitet alles ab, ihr tut so, als wüsstet ihr einen Scheißdreck.«
Kopfschüttelnd verlässt er den Tisch. Er ist kein bisschen laut geworden, eines der untrüglichsten Zeichen der Verachtung. Dann dreht er sich jäh zu Andrea um.
»Wer sind all diese Leute? Wieso wussten sie Bescheid? Und wenn sie Bescheid wussten, weshalb haben sie nichts unternommen? Seit jenem Nachmittag suche ich eine Antwort darauf, und
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