Bleiernes Schweigen
öffnet er sie wieder.
»Er sagt mir, Rossini habe ihn anrufen lassen, um über Politik zu reden. Er meinte, es müsse scharf durchgegriffen werden, es bräuchte eine harte Hand. Jemanden, der das Kommando übernimmt und das Schiff in den Hafen steuert. Mein Freund begreift nichts, aber Rossini bezahlt ihn. Nun ja, eigentlich nur fürs Zuhören. Eine Weile lang treffen sie sich regelmäßig. Rossinis Fragen wirken durchdacht, und er wird das Gefühl nicht los, dass ein ganz klarer Plan dahintersteckt. Zwar hat Rossini das nie zugegeben, doch mein Freund ist sich sicher, dass er eine Partei gründen wollte.«
»Wann?«
Grossi richtet den Zeigefinger auf meinen Vater und trinkt.
»Eben, genau. Wann. Das habe ich ihn auch gefragt. Ende ’91, sagt er. Ich sage ihm, das sei unmöglich, von Tangentopoli hätte es noch nicht mal die kleinste Spur gegeben, er müsse sich irren. Er lächelt und schweigt. Dann sagt er, er könne sich bestens an das Datum erinnern. Während des letzten Treffens sei seine Enkelin geboren worden. Es war der 13. Januar 1992.«
Mein Vater fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Plötzlich ist sein Rollstuhl ein unerträgliches Gefängnis.
»Wieso bist du gegangen?«
»Diese ganzen erbaulichen Dinge, die du über die sizilianischen Parteibüros geschrieben hast, erinnerst du dich? Nun ja, jemand ist zu mir gekommen und hat mir gesagt, da laufe etwas falsch. Ich bin zu Francesco gegangen und war ganz ruhig. Er hat einen Nervenzusammenbruch bekommen. Die Fernbedienung eben war nichts dagegen. Er meinte, das dürfe nicht sein, er werde sich darum kümmern.«
»Aber das tat er nicht.«
»Nein, das tat er nicht. Wir haben noch mehrmals darüber gesprochen. Schließlich habe ich begriffen, dass sich nichts ändern würde. Und wir haben uns auf einen Ausweg geeinigt. Er hat noch nicht mal versucht, mich umzustimmen.«
Niedergeschlagen lässt er sich aufs Sofa fallen. Adriano stellt das Glas ab.
»Das ist noch nicht alles, stimmt’s?«
Grossi lächelt bitter.
»Natürlich nicht. Ich schätzte Francesco sehr, das weißt du. Und es gab viele Leute, die mir einen Gefallen schuldeten. Also habe ich deinen Job gemacht. Eine kleine Recherche hier und da. Gerüchte, Klatsch, kleine Winkelzüge, die einem zeigen, woher der Wind weht.«
Er leert sein Glas, füllt es wieder, trinkt einen Schluck, schnuppert daran.
»Dieser Mann widert mich an, Adriano. Rossini. Er widertmich an. Der integre, blütenreine Industrielle. Der internationale Playboy, der sein Leben ändert und sein obergeiles Modell heiratet. Der Mann, der das Familienimperium gerettet hat, der die Kultur finanziert, der zwei Doktortitel hat und ganz dicke mit dem Opus Dei ist. Das ist alles nur Fassade. Und den Beweis hat er mir geliefert.«
Noch ein Schluck. Der Mut zum Weitermachen braucht den Geschmack des Brunello.
»Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern. Ich hatte eine Untersuchung bei einer englischen Firma in Auftrag gegeben.«
»Schuldete die dir auch einen Gefallen?«
Grossi lächelt müde.
»Sagen wir, sie haben sich mit einem üppigen Honorar zufriedengegeben. Drei Tage vor Weihnachten liefern sie mir die Ergebnisse. Es hatte Monate gebraucht, und ich sage dir nicht, welcher Kanäle sie sich bedient haben. Darin ist von Schmiergeldern die Rede, die in den goldenen Jahren an die Parteien gezahlt wurden. Von Zahlungen vom Ausland ins Ausland, von Geldflüssen, die aus internationaler Geldwäsche stammen. Der reinste Horrorfilm. Und sie hatten Beweise. Indizien, Akten.«
Adriano unterbricht ihn.
»Marsigli.«
Grossi leert das Glas in einem Zug und kann sich das Lachen kaum verkneifen.
»Sei nicht kindisch. Glaubst du wirklich, es ist so simpel? Er hätte von dem ganzen Brass in der Chefetage des Konzerns nichts mitgekriegt? Oder seine Freundschaft mit diesem Schwein Marsigli habe mit dem Pack, mit dem der in Sizilien verkehrt, nichts zu tun? Rossini ist eine feige Sau, er nutzt dich aus, solange du ihm nützlich bist, und dann verpasst er dir einen Arschtritt. In der Zwischenzeit quetscht er dich so sehr aus, dass er alles über dich weiß, selbst das kleinste bisschen. Und weißt du, weshalb nie etwas herausgekommen ist?Weil er den Weltmeister im Geldverstecken auf seiner Gehaltsliste hat.«
Er senkt die Stimme.
»Hast du schon mal was von Clarence Vandermeer gehört? Holländer, seine Mutter war im Zweiten Weltkrieg Spionin für die Alliierten, er hat ein bisschen überall gelebt. In Afrika, England,
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