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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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ich Giulia besucht. Weißt du, was sie mir gesagt hat? Dass ich aufhören soll, mir um sie Sorgen zu machen. Und vielleicht solltest du bei mir auch endlich damit aufhören.«
    Er nickt.
    »Sie ist wie Elena. Eine außergewöhnliche Frau. Da habenwir wirklich Glück gehabt. Sehr viel Glück.« Er macht eine Pause. Eine Frau hastet über die Straße auf der Flucht vor dem Regen. »Ich mache mir nicht nur um dich Sorgen. Diese Geschichte betrifft nicht nur dich.«
    Er legt die Hände auf die Reifen und dreht den Rollstuhl um. Seine Augen sind feucht.
    »Ich muss dich um einen Gefallen bitten.«
    Ich hocke mich vor ihn hin, die Hände auf seinen Schenkeln.
    »Ich höre.«
    »Lass mich diese Angelegenheit auf meine Art regeln. Ich wusste, dass dieser Moment einmal kommen würde. Vielleicht hatte ich geglaubt, zu sterben, ehe du etwas begreifst oder etwas geschieht, das mich dazu zwingt, es dir zu erklären. Doch das ist nicht passiert. Also gut, aber lass es mich so tun, wie es mir möglich ist. Wie ich es schaffe.«
    Ich lächele. Nicke. Setze mich.
    »Es gibt keine richtige oder falsche Art, die Dinge zu sagen«, fährt er fort. »Seit Tagen überlege ich, wo ich anfangen soll. Mir ist nichts eingefallen, also komme ich gleich zum Punkt.«
    Er holt tief Luft und lässt mir das Blut mit wenigen Worten gefrieren.
    »Solara gibt es nicht. Ich habe ihn erfunden.«
    Dann beginnt er zu erzählen.

 
    »Geschichten ohne Ende können nur immer weiter und weiter gehen, und in einer gefangen zu sein bedeutet, dass man sterben muss, bevor man seine Rolle darin zu Ende gespielt hat. Meine einzige Hoffnung ist, dass das, was ich zu sagen im Begriff bin, ein Ende hat, dass ich irgendwo eine Lücke in der Dunkelheit finden werde. Diese Hoffnung bezeichne ich als Mut, aber ob es Grund zur Hoffnung gibt, ist eine ganz andere Frage.«
    Paul Auster,
New York Trilogie
     
    Diese Geschichte betrifft zwei Männer und eine Frau.
    Einer der beiden Männer heißt Adriano und ist mein Vater. Die Frau heißt Elena und ist meine Frau. Den Namen des zweiten Mannes kenne ich nicht, ich kann mir allenfalls denken, welcher Arbeit er an dem Tag des Jahres 1992 nachging, als mein Vater ihm in einer Bar unweit des Mailänder Gerichts gegenübersitzt.
    Der Mann, dessen Namen ich nicht kenne, ist genauso alt wie mein Vater, er bekommt schütteres Haar und redet zwischen langen Zügen an seiner Zigarette.
    »An deiner Stelle würde ich nach Sizilien fahren.«
    Er sagt es ganz obenhin, als wäre es ihm herausgerutscht. Mein Vater stützt die Ellenbogen auf den Tisch.
    »Nach Sizilien?«
    Sein Gegenüber sieht ihn an. Deutet ein Lächeln an. Nickt.
    »Genau, nach Sizilien.«
    Der Mann, dessen Namen ich nicht kenne, drückt seine Zigarette aus und zündet sich eine neue an. Er tut es schweigend und ohne Hast und lässt Adriano schmoren. Er nimmt ein paar Züge, nippt an seinem Kaffee und tut so, als sei das Gespräch beendet.
    »Ich dachte, ich sollte nach Ravenna fahren«, sagt mein Vater und deutet mit dem Kinn auf die
Gazzetta dello Sport
, die aufgeschlagen und ungelesen auf dem Tisch liegt. In wenigen Stunden wird der
Leone di San Marco
zur entscheidenden Qualifikationsregatta für den America’s Cup antreten.
    Doch das Segeln interessiert nicht. Sondern das Geld.
    Zweieinhalb Monate zuvor ist der Leiter eines Altersheims festgenommen worden, mit sieben Millionen Lire* eines Unternehmers in der Tasche, der sich einen Auftrag für seine Reinigungsfirma sichern wollte. Als er spitzkriegt, was los ist, schließt er sich ins Bad ein und versucht, weitere siebenunddreißig Millionen das Klo hinunterzuspülen. Doch er schafft es nicht.
    Der Unternehmer selbst lässt ihn auffliegen: Als er es leid ist zu zahlen, beschließt er, ihn anzuzeigen. Und so landet der Leiter des Altersheims hinter Gittern. Und schweigt, gut einen Monat lang. Doch er hat die Rechung ohne seine Exfrau gemacht, die ihre Unterhaltszahlung für zu mickerig befindet und weiß, dass noch ein paar Milliarden auf Konten schlummern, die auf seine Sekretärin laufen.
    Schließlich macht auch er den Mund auf. Er wurde von der Stadtverwaltung auf diesen Posten berufen. In Mailand sind bekanntlich die Sozialisten am Ruder, und seit er angefangen hat zu reden, schlafen viele Leute schlecht. Auch wenn sie so tun, als wäre nichts.
    Einen Tag vor dem Treffen in der Bar wurde gewählt. Die Democrazia Cristiana* liegt unter dreißig Prozent. Das hat es noch nie gegeben. Als wäre es ein Omen, wurde

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