Bleiernes Schweigen
ihr Ergebnis parat.
»Die Gesellschaft gehört einem gewissen Angelo Di Costa«, sagt Elena und setzt sich eine Flasche Mineralwasser an die Lippen. Die Jalousien im Büro meines Vaters sind herabgelassen, draußen herrscht glühende Hitze. Giulia ist gerade sieben geworden, sie liegt im Nebenzimmer und schläft. Und Adriano hört zu, mit im Schoß gefalteten Händen und unruhigem Blick.
Elena hockt auf einem Sessel, der meinem Großvater gehörte. Barfuss, die Beine unterm Po, das aufgeschlagene Notizbuch in den Händen.
»Die Smar wurde 1988 gegründet, um eine Reihe von Marmorsteinbrüchen zu verwalten. Die Steinbrüche gehören der Semprini-Gruppe von der Anonima Cementi.«
Mein Vater sieht sie an. Er denkt an die Mailänder Bar, wo er seinen Freund getroffen hat. An das Finale des America’s Cup, den die
Leone di San Marco
verloren hat. Sie gehörte ebenfalls der Semprini-Gruppe.
An deiner Stelle würde ich nach Sizilien fahren.
»Hörst du mir zu?«
»Na klar. Semprini. Da scheint mir nichts dran zu sein.«
Elena stellt die Füße auf den Boden und schlägt das Notizbuch zu.
»Nein. Das dachte ich auch. Aber ich gebe mich nun mal nie mit dem Schein zufrieden. Di Costa ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Frau ist die Schwester von Salvatore Rubbino. Vielleicht sagt dir der Name was.«
Mein Vater steht auf, geht zum Fenster, blickt hinaus, verlässt das Zimmer, sieht nach seiner Enkelin und kehrt mit einem verhaltenen Lächeln zurück.
»Sie schläft noch«, flüstert er, doch Elena antwortet nicht. Sie wartet. Adriano wischt sich mit einem Taschentuch über die Stirn.
»Weißt du, wer Salvatore Rubbino ist?«, fragt er, doch der Moment für die Antwort ist noch nicht gekommen.
»Warte, zunächst noch was anderes. Ich habe noch ein paar Fakten zur Anonima Cementi gesucht, also bin ich weiter zurückgegangen. Und irgendwann gibt es zwei Gesellschaften dieses Namens. Die erste, die der Semprini-Gruppe, kauft 1984 neunundneunzig Prozent der zweiten. Die nennt sich Anonima Cementi Palermo und gehört Salvatore Rubbino. Zwei Jahre nach dem Verkauf der Gesellschaft gibt’s gegen Rubbino einen Haftbefehl. Diese Ermittlungen führen zum Maxi-Prozess*. Man denkt, die Semprinis müssten jetzt aus ihrem Tiefschlaf erwachen und endlich begreifen, wen sie sich da ins Haus geholt haben. Aber es passiert nichts. Im Grunde haben sie ja nur eine Gesellschaft erworben. Und als sie es taten, wusste niemand, dass sie direkt von der Cosa Nostra kauften.«
Adriano schließt die Augen. Sein Kopf dreht sich, die Hitze ist unerträglich, die Gedanken zu schnell, um sie alle zu verfolgen. Er atmet tief durch. Öffnet die Augen. Elena spielt mit der Kappe eines Kugelschreibers. Zieht sie ab, steckt sie auf, trommelt sich mit dem Plastikstift auf den Vorderarm.
Schließlich kann sie nicht mehr an sich halten.
»Und?«
Mein Vater zieht die Schultern hoch.
»Ausgezeichnete Arbeit, aber das weißt du ja.«
»Es ist mir scheißegal, ob das gute Arbeit ist oder nicht. Und du hast recht, ich weiß, dass das gute Arbeit ist. Ich will wissen, was wir jetzt machen.«
Adriano steht auf. Trinkt aus einer Wasserflasche. Steht im Zimmer, das feuchte Glas zwischen den Fingern.
»Gib mir zwei Tage.«
Elena nickt, steckt das Notizbuch weg und verschwindetim Nebenzimmer. Nach einer Ewigkeit kehrt sie zurück. Sie hat Giulia an der Hand. Meine Tochter sieht aus, als würde sie noch schlafen.
Adriano beugt sich hinunter, sieht sie an und streichelt ihr über die Wange.
»Seid vorsichtig, ihr beiden«, flüstert er kaum hörbar. »Seid vorsichtig, bitte.«
Mein Vater ist nie ein Großvater gewesen. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Er war nicht der Typ für Spielplätze, Kinderwagen, Eiscreme und Zeichentrickstimme. Er behandelt alle menschlichen Wesen mit der gleichen Aufmerksamkeit und dem gleichen Ernst. Im Grunde unterscheidet sich ein Kind nicht sonderlich von einem Erwachsenen.
Ich habe nur wenige Erinnerungen an gemeinsame Spiele mit ihm. Besser kann ich mich an die Streitereien, die Kontroversen, die heftigen Diskussionen erinnern, die meist nur dazu dienten, einander unterschiedliche Meinungen vorzugaukeln. Ich glaube nicht, ihn jemals besorgt oder verängstigt oder übermäßig traurig oder glücklich gesehen zu haben.
Doch die Geschichte jenes Sommers 1992 erzählt von einem anderen Mann, den ich nicht kenne und nicht kennenlernen wollte.
Als Elena geht, tätigt Adriano einen Anruf. Der Mann am
Weitere Kostenlose Bücher