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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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plötzlich weiß werden will. Die Zeit läuft dir nach, verfolgt dich, schnapptdich und lässt dich zurück. Und hinterlässt Spuren. Auch wenn man sie nicht wahrhaben will.
    Er kehrt zum Schreibtisch zurück, zieht einen farbigen Hefter aus einer Schublade, legt die Unterlagen über Pizzo Sella darin ab und wendet sich dem zweiten Stapel zu.
    Die Italcostruzioni. Wieder geht es zehn Jahre zurück. 1982 haben sie Steinbrüche in ganz Sizilien. Sie beschließen, ihr Geld mit dem eines äußerst einflussreichen Freundes zu mischen. Einer, der für gute Geschäfte sorgen kann und in der italienischen Finanz, Wirtschaft und Politik einiges zu sagen hat. Also verkaufen sie vierzig Prozent ihrer Anteile an die Anonima Cementi.
    Das ist der erste Knoten. Hier fängt alles an. Ein sizilianisches Unternehmen, das lokal tätig ist und als Minderheitsgesellschafter einen Giganten vom Festland ins Boot holt. Ein sizilianisches Unternehmen, das Salvatore Rubbino gehört.
    Cosa Nostra, Sizilien, Italien.
    Noch ein Hefter, noch eine Ablage. Die Kaffeemaschine grummelt auf dem Herd, die Nacht ringt sich zum Tag durch. Wie jeden Sommer zieht der Juli unbeschwert vorbei.
    Dennoch ist dieser Sommer nicht wie jeder andere. Adriano weiß das gut. Und als er frisch geduscht in seinem roten Bademantel aus dem Bad tritt, wundert er sich nicht, dass jemand ihn im Wohnzimmer begrüßt.
    »Wir müssen reden«, sagt der Mann mit der Zigarette. Und Adriano macht ihm ein Zeichen, ihm in die Küche zu folgen. Wenn ihre Unterredungen stets bei einem Kaffee stattfinden müssen, dann soll der Brauch auch diesmal beibehalten werden.
     
    »Beschattest du mich etwa?«
    Der Mann mit der Zigarette bleibt die Antwort schuldig. Er steckt eine Hand in die Tasche und holt ein Bonbon aus einer Schachtel. Er hält sie meinem Vater hin. Lachend lehnt Adriano ab.
    »Und die Zigaretten?«
    »Der Arzt sagt, ich muss aufhören. Ich kann mir keinen Herzinfarkt leisten.«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Ob ich dich beschatte? Das ist nicht nötig. Ich kenne dich.« Er macht eine Pause. »Es war klug von dir, deiner Schwiegertochter nichts zu sagen.«
    »Du irrst dich.«
    Sein Gast lacht.
    »Nein, das tue ich nicht. Du hast alles allein gemacht. Zumindest, was den Pizzo Sella und die Italcostruzioni betrifft. Wie gesagt, eine weise Entscheidung.«
    »Wieso bist du hier?«
    »Um zu hören, ob du vorhast, weiterzumachen.«
    »Und wenn ja?«
    »Ich kenne jemanden, mit dem du dich unterhalten könntest. In Palermo.«
    »Nämlich?«
    »Ein Bekannter. Der Name ist unwichtig. Noch zumindest.«
    Mein Vater fährt sich mit den Händen übers Gesicht.
    »Was bringt es dir, wenn diese Geschichte ans Tageslicht kommt?«
    »Du hast immer eine sehr beschränkte Sicht auf die Dinge gehabt, Adriano. Nicht, dass du deine Perspektive nicht erweitern könntest. Aber es geht nicht. Noch nicht. Gib dich zufrieden.«
    »Mich zufriedengeben …« Er steht auf und lehnt sich gegen die Spüle. »Einer der größten Konzerne Italiens macht seit gut zehn Jahren Geschäfte mit der Mafia, und ich soll mich zufriedengeben.«
    »Nein, ich sagte, du sollst dich
vorerst
zufriedengeben.«
    Adriano schweigt. Blickt seinen stets distanzierten, stets ungerührten Gast an. Eine furchteinflößende Maske.
    »Mit wem muss ich sprechen?«
    Der Mann mit der Zigarette holt ein Handy hervor, klappt es auf und wählt eine Nummer. Wartet.
    »Morgen?«, fragt er. Er lauscht, klappt das Handy zu und lässt es in die Tasche gleiten.
    »Morgen früh um elf geht ein Flieger nach Palermo. Du könntest abends mit dem Acht-Uhr-Flug wieder zurückkommen. An der Kreuzung Via della Libertà und Largo dell’Esedra steht ein Zeitungskiosk. Die Person, mit der du sprechen musst, wartet dort um drei Uhr nachmittags auf dich. Du kannst dir also Zeit lassen, guten Fisch essen, ein wenig Ordnung in deine Gedanken bringen und dann …«
    »Und dann?«
    »Kannst du aufhören, dich zufriedenzugeben.« Er macht eine Pause. »Zumindest eine Zeitlang.«
     
    Am Sonntag, den 19. Juli 1992 um elf Uhr morgens hebt das Flugzeug meines Vaters Richtung Palermo ab. Auf dem Platz neben ihm schläft Elena. Ein unruhiger Schlaf, in den sie gleich nach dem Abflug gefallen ist und aus dem sie am Ende der Reise müde und missmutig erwacht.
    Sie hat keine Ahnung, was sie in Sizilien vorhaben, sie weiß nicht das kleinste bisschen von dem, was mein Vater in ihrer Abwesenheit herausbekommen hat. Bei ihrer Entscheidung, ihn zu begleiten,

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