Bleischwer
sie
hin. Tiefe Dankbarkeit empfand sie in diesem Moment. Irgendwann – Minuten später, Stunden später,
sie wusste es nicht – löste
sie sich aus Jörgs tröstlicher Umarmung.
»Unten
am See liegt eine Leiche«, flüsterte sie erschöpft. »Ich glaube, es ist dieser
entflohene Verbrecher. Jemand hat ihn erschlagen.«
Der Polizeibeamte wirkte völlig
fehl am Platz in der Enge des Wohnwagens. Nicht nur, dass er mindestens 1,90 m maß, nein, er war auch noch
dick. Mächtig dick, eigentlich sogar fettleibig, urteilte Jule, die in eine
Wolldecke eingehüllt am Tisch saß, Jörg in beschützender Nähe direkt neben
sich.
»Sie
hatten recht. Der Tote ist Stefan Winter«, bestätigte Kriminalhauptkommissar
Wesseling. Der Blick seiner kleinen blassen Äuglein hinter den Brillengläsern
war misstrauisch. »Aber woher wussten Sie das, Frau Maiwald?«
Jule
schluckte unbehaglich. Sie kämpfte mit dem schrecklichen Bild der starren,
stumpfen Augen. »Von den Fahndungsfotos aus dem Fernsehen und der Zeitung«,
antwortete sie leise. Sie kam sich verlogen vor.
»Und
wie sind Sie auf die Idee gekommen, er sei erschlagen worden?«, bohrte der
Kommissar weiter nach. Erstaunt sah Jule ihn an.
»Wurde
er nicht?«, fragte sie. »Ich hab nur diesen großen Blutfleck im Schnee gesehen,
direkt unter seinem Hinterkopf, da dachte ich … «
Wesseling
räusperte sich und machte eine beschwichtigende Geste mit einer teigigen
Patschehand. »Nun, doch. Sie haben ja recht. Man hat ihn erschlagen. Mit einer
Eisenstange offenbar. Die Spurensicherung hat sie im Schilf gefunden.« Jetzt
lachte er nervös. »Also, mit dem Tod des Schwerverbrechers haben wir natürlich
ein Problem weniger. Die Bevölkerung wird aufatmen. Allerdings müssen wir schon
herausfinden, wer der Täter ist. Auch wenn er uns allen einen guten Dienst
erwiesen hat.«
Jule
starrte den fetten Mann sprachlos an. Was redete der Typ denn da? ›Einen guten
Dienst erwiesen?‹ Sie registrierte Jörgs einvernehmliches Nicken und begriff in
dem Augenblick, wie weit sie sich bereits von der landläufigen Vorstellung von
Gut und Böse entfernt hatte. Schnell versuchte sie, die gerunzelte Stirn zu
glätten und das Spiel mitzuspielen.
»Ja, es
ist gut, dass wir vor dem Ausbrecher keine Angst mehr haben müssen«,
formulierte sie zögerlich. »Aber wer kann ihn umgebracht haben?«
»Das
gilt es herauszufinden.« Nachdenklich fixierte Hauptkommissar Wesseling sie.
»Wo kamen Sie denn so spät überhaupt her, Frau Maiwald? Es war zwei Uhr in der
Nacht.«
Hörte
sie da etwa einen Vorwurf heraus? Schnell blickte sie zu Jörg, der die Lippen
fest zusammengepresst hielt. Ihm hatte sie bereits erzählt, bei wem sie gewesen
war, nicht jedoch, was sich zwischen ihr und Michael abgespielt hatte.
»Ich
war bei … einem guten Freund, der hier auf dem Campingplatz arbeitet«,
erklärte sie mit fester Stimme. »Nach meinem Spaziergang durch den Wald und den
Ort habe ich ihn am späten Nachmittag besucht. Wir haben uns lange
unterhalten.«
Wesselings
dicke Finger klimperten über die Tischplatte. »Allerdings lange, ja. Aber ich
bräuchte schon einen Namen.« Das Misstrauen in seiner Stimme war nun
unüberhörbar. »Wie Sie sich denken können, müssen wir das überprüfen. Reine
Routine natürlich.«
»Michael
Faßbinder.« Jetzt war es heraus. »Er ist als Hausmeister und Gärtner im
›Eifelwind‹ beschäftigt und wohnt in einem der Mobilheime in der Nähe der
Rezeption.«
Die
Hand des Kommissars verharrte mitten in der Bewegung.
»Michael … Faßbinder!« Er schien völlig verblüfft. Die Schweinsäuglein glubschten sie
verdattert an. »Faßbinder hält sich auf dem Campingplatz auf?«
Jule
nickte beklommen.
»Wo
genau?«, blaffte Wesseling. »Der Mann ist ein alter Freund des Toten! Er steht
seit gestern auf unserer Liste der möglichen Fluchthelfer. Und bei dem haben
Sie die letzten Stunden verbracht?«
Wieder
nickte sie. Oh Scheiße, fuhr es ihr dabei durch den Kopf. Sie lieferte Micha
ans Messer.
»Sie
sind sich sicher, dass Sie lückenlos vom späten Nachmittag bis zwei Uhr nachts
mit Faßbinder zusammen waren?«
»Ja,
natürlich. Wir haben Grog getrunken und Small Talk gehalten. Es war so
stürmisch draußen, da wollte ich nicht nach Hause gehen.«
»Sie
wissen, dass Faßbinder ein Krimineller ist?«
Jule
schloss kurz die Augen, um dann bissig zu antworten: »Ich weiß nur, dass er
fleißig und hilfsbereit ist. Gerti und Hermann, das sind die Besitzer
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