Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
war unser Dad noch gar nicht zu Hause, und ich schlug im Nachhinein noch drei Kreuze, dass ich meine SMS an Jason und nicht an ihn geschickt hatte. Warum schlafende Hunde wecken?
Vor mich hin summend holte ich das Karamelleis aus dem Tiefkühlfach und verzog mich damit auf mein Zimmer, wo ich den Stapel mit Noahs Notizblöcken auf mein Bett plumpsen ließ. Ich selbst setzte mich auf meinen Schaukelstuhl und löste den Deckel der Eisbox.
Nicht für eine Sekunde ließ ich den Stapel dabei aus den Augen.
Selten hatte ich mich derartig hin- und hergerissen gefühlt. Schließlich beschloss ich, mich bettfertig zu machen, bevor ich mich Noahs Geschichte widmen wollte. Ich wusste nicht, ob ich sonst später noch dazu in der Lage wäre.
Also streifte ich mir meine Sc hlafsachen über, bündelte mein Haar zu einem dicken Zopf und putzte meine Zähne so schnell, als hinge mein Leben davon ab. Dann erst setzte ich mich auf mein Bett und zog mit einem mulmigen Gefühl im Magen den untersten Block hervor. Das musste der älteste sein. Der erste. Aus der Zeit, als Noah gerade zu den Franklins gekommen war. Wie hatte er sich damals gefühlt? Fremd und allein in einer Familie, die nicht seine war und die ihn trotzdem wollte? War er skeptisch gewesen? Ängstlich? Mit diesen Fragen im Kopf schlug ich das Deckblatt um und starrte sekundenlang auf die erste Seite. Noah hatte sie vollkommen schwarz angemalt; nur ein einziges Wort stand dort – in blutroter Schrift: BÖSE.
„Wer ist böse, Liebling?“, fragte ich, als säße der zwölfjährige Noah von damals vor mir. Aber da war niemand, der mir eine Antwort hätte geben können – nur dieser Block mit all seinen Blättern, die Noahs Handschrift trugen. Seine Botschaften.
Ich blätterte die düstere Seite um und stieß auf die ersten schriftgewordenen Gedanken. Noahs Schrift war noch wesentlich holpriger, eben die eines zwölfjährigen Kindes, nur irgendwie krakeliger . Sie machte einen fast ungeübten Eindruck auf mich und war die erste Auffälligkeit, die mir ins Auge stach, noch bevor ich zu lesen begann.
Sie haben mich aus dem Krankenhaus geholt und mich in ein Zimmer in einem großen Haus gebracht. Das ist jetzt mein Zimmer, hat die Frau gesagt. Sie heißt Marie. Das Zimmer ist riesig und sehr hell. Joe hat es nicht abgeschlossen, als sie rausgegangen sind. Am Abend hat er mich zum Essen gerufen. Wir haben zusammen an einem großen Tisch in der Küche gegessen. Es gab warmes Essen mit Fleisch, Kartoffeln und Bohnen. Danach gab es einen Salat und Schokoladenpudding zum Nachtisch. Dann wollte mir Lucy ihr Zimmer zeigen. Es ist rosa und genauso groß wie meins. Adrians Zimmer ist noch größer. Er braucht viel Platz mit dem Rollstuhl, sagt Marie.
Adrian wollte mir seine Baseballkarten zeigen, aber Joe sagte, morgen wäre auch noch ein Tag. Dann brachte er mich in mein Zimmer, weil er mit mir reden wollte. Ich hatte Angst, aber er hat versprochen, dass mir hier niemand wehtut. Er sagte, dass er weiß, was Doug gemacht hat und dass Marie es auch weiß. Er sagte, dass ich keine Angst mehr haben muss, weil ich nie wieder zurückgehen werde. Lucy und Adrian wissen nichts. Joe sagt, wenn ich will, kann ich es ihnen erzählen, aber wenn ich nicht will, dann muss ich auch nichts sagen. Ich will nicht.
Ich verstehe nicht, warum sie mich überhaupt geholt haben. Bestimmt geben sie mich wieder weg, wenn sie merken wie schlecht ich bin.
Davor habe ich Angst.
Ich atmete tief durch. Tränen stiegen mir in die Augen und ertränkten meine Sicht. Noahs Worte verschwammen so stark, dass ich nichts mehr erkannte. Ärgerlich wischte ich die salzigen Tropfen weg und blätterte um.
Der nächste Eintrag stammte offenbar vom Morgen danach.
Die Nacht war nicht gut. Ich habe geschrien und Joe kam an mein Bett. Ich habe die Arme über meinem Gesicht verschränkt und gebettelt, dass er mich nicht schlagen soll, aber er hat mich überhaupt nicht angefasst.
Er hat immer wieder gesagt, dass mich niemand mehr schlagen wird, nie mehr. Ich glaube ihm nicht.
Die nächste Notiz:
Lucy und Adrian sind nett. Sie lachen fast immer und machen viel Quatsch. Ich lache fast nie . Marie hat das schon gemerkt. Gestern habe ich gesehen, wie traurig sie mich angeschaut hat. Bestimmt ist sie enttäuscht. Ich muss mir mehr Mühe geben. Adrian sagt, er macht seine Übungen so gut, dass er bald wieder in die Schule darf. Joe hat gesagt, wenn Adrian geht, habe ich auch meinen ersten Schultag. Ich
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